Donnerstag, 16. April 2015

Wie geht es dir? – eine ernst gemeinte Frage oder ist die Frage ernst gemeint



Die Frage, Wie geht es dir?, habe ich in den letzten Monaten sehr oft gehört. Und ich muss zugeben, mittlerweile stehe ich dieser Frage sehr ambivalent gegenüber.

Ich kann natürlich jeden verstehen, der fragt, wie es mir geht. Ich bin ein offener Mensch und erzähle durchaus von mir. Allerdings möchte ich die Möglichkeit haben zu entscheiden, wann ich was erzähle. Also im Klartext, ich möchte entscheiden, zu welchem Zeitpunkt ich erzähle und worüber ich berichten möchte.

Eine Freundin von mir, ich nenne sie der Einfachheit halber Vera (es gibt viele Veras), kommt in meine Wohnung und fragt sofort: „Wiie geeht es diiiiir?“ Sie hat noch nicht einmal ihre Jacke ausgezogen, noch hat sie mich richtig begrüßt, aber sie fragt, wie es mir geht. Was soll ich dazu sagen? Ich antworte also  erstmal: „Gut! und dir?“. Sie antwortet beispielsweise: „Gut!, aber wie geht es diiir?“

Ich weiß, dass diese Frage schon ernst gemeint ist, sie betont jeden Vokal und es drückt (scheinbar) Interesse aus. Aber der Zeitpunkt ist einfach falsch. Mich macht diese Frage mittlerweile sauer, denn ich finde sie ziemlich unsensibel. Denn durch den Zeitpunkt dieser Frage, nimmt der Fragesteller mir die Möglichkeit zu antworten.

Natürlich verstehe ich Vera und natürlich möchte ich ihr erzählen, wie es mir geht. Aber doch nicht gleich, wenn sie zur Tür reinkommt. In diesem Fall ist die Frage doch rhetorisch und man antwortet normalerweise mit einem einfachen „danke, gut!“, und dann ist es auch gut. Auch ich stelle diese rhetorischen Fragen, denn eigentlich sind sie höflich gemeint. Man hat sich länger nicht gesehen und fragt höflich, man ist freundlich zueinander.
Aber man erwartet zu diesem Zeitpunkt nicht, dass jemand seine Lebens-, Krankheits- oder Befindlichkeitsgeschichte auspackt. Dazu sucht man sich besser einen geeigneten Zeitpunkt. Hat jemand gerade Probleme im Job, fragt man doch auch, wie es ihm geht und erwartet nicht sofort an der Tür eine Antwort auf seine Jobsituation. Mit meinem Krebs ist das nicht anders, natürlich möchte ich drüber reden und natürlich interessiert es die Menschen, wie es mir geht!

Aber ich habe nicht nur Krebs, sondern ich bin immer noch ein Mensch mit ganz vielen Interessen, mit vier Kindern, mit Freunden, mit einer neuen Wohnung, mit zwei Hunden und vielem mehr. Es gibt einfach noch so viel mehr, über das man mit mir reden kann und für mich ist manchmal schlimm, wenn der Krebs im Vordergrund steht. Natürlich hat der Krebs in dieser Phase einen hohen Anteil in meinem Leben, denn schließlich bin ich mitten in der Therapie. Aber es gibt auch Situationen, gerade wenn ich andere Menschen treffe, da freue ich mich sehr, wenn ich den Krebs einfach mal vergessen kann, wenn er mal nicht präsent ist.

Und dann kommt Vera: „Wiie geeht es diiiiir?“
                 
Ich bin also sofort etwas angenervt und antworte mit einer neutralen Phrase. Und ich bin mir auch bewusst, dass ich Vera damit vor den Kopf stoße, denn im Grunde möchte sie am liebsten gleich wissen, wie es mir geht. Aber in dieser Situation kann und will ich nicht antworten, ich möchte lieber später dazu erzählen. Denn natürlich ist es auch so, dass ich ein großes Bedürfnis habe, über meinen Krebs zu reden.

Allerdings ist das leider nicht immer einfach, denn es gibt bei Krebs eine große Hemmschwelle. Krebs ist mit so schlimmen Ängsten verbunden, dass es vielen Menschen schwer fällt, wirklich darüber zu reden. Denn wenn man sich mit der Krankheit beschäftigt, dann muss man sich automatisch mit sich selbst auseinandersetzen. Man erkennt, wie schnell Krebs einen selber treffen und wie wenig man sich davor schützen kann. Noch gibt es keine Impfung gegen Krebs, keiner kann sich sicher sein, ob die eigenen Zellen nicht eines Tages auch verrücktspielen.

So ist das auch bei Vera. Sie möchte wissen, wie es mir geht, möchte sich aber im Grunde nicht so intensiv mit der Thematik befassen. Also sind ihre Fragen nicht sehr differenziert, ihr Interesse nicht wirklich tief. Für mich ist das unbefriedigend, denn ich kann nur über mich reden, wenn mein Gesprächspartner auch innerlich dazu bereit ist.

Wenn ich sage, dass Vera sich nicht intensiv mit der Thematik befasst, dann meine ich nicht, dass sie zum Krebsexperten werden soll. Denn dazu habe ich meine Ärzte! Nichts ist schlimmer, als selbst ernannte Experten, die zu allen etwas wissen. Aber ich möchte im Zweifel natürlich schon, dass mir mein Gesprächspartner zuhört und dass er meine Geschichte auch versteht. Eine gute Freundin von mir hat MS, also ist es doch nur natürlich, dass ich diese Krankheit einmal google und mich ein Stück weit damit beschäftige. Ein gewisses Grundwissen setze ich bei mir auch voraus, denn nur so kann es zu guten Gesprächen kommen.  

Wahrscheinlich kann jeder, der eine größere Krankheit hat, diese Situation total nachvollziehen. Vielleicht sollte die Deutsche Krebshilfe ein Kapitel darüber in ihre blauen Heftchen aufnehmen…. 

Aber Spaß beiseite, manchmal nerven mich die Veras schon sehr. Auf der anderen Seite gibt es unglaublich wunderbare Menschen, mit denen gute und intensive Gespräche möglich sind, die ich dann umso mehr genieße und wertschätze.



1 Kommentar:

  1. Ein sehr guter Artikel! Die Frage nach dem 'Wie geht es dir?' und das tatsächliche Interesse des Fragenden wird ja immer wieder diskutiert. Ist die befragte Person dazu auch noch schwer krank, stelle ich mir das natürlich noch heikler vor, als es eigentlich schon ist. Nicht umsonst sagt man, dass man selten so oft lügt wie bei der Antwort auf diese Frage.

    Ich habe beim Lesen mal überlegt, wann ich zeitlich bei einem Treffen mit Freunden frage, wie es ihnen geht. Und wann ich das letzte Mal ernst gefragt wurde. Ersteres passiert meiner Erinnerung nach meist, sobald ich mich mit der Person gemütlich hingesetzt habe und das eigentliche Gespräch beginnt. Letzteres folgt dann irgendwann als Gegenfrage.

    Zu den Veras: Es ist natürlich schade, dass man oft die Tiefe des Interesses nicht heraushören kann oder ahnen muss, dass dieses nicht allzu tief geht. Was will Vera wissen und wie viel Wahrheit kann man damit in die Antwort legen. Im Endeffekt kann ich mir also vorstellen dass du bei Gesprächen mit Vera eher damit beschäftigt bist darüber nachzudenken, was du wie erzählen sollst/willst statt tatsächlich deine Probleme und etwas deiner Last zu teilen.

    Ich hoffe auf jeden Fall dass die Veras in deinem Leben sich ein bisschen zurückhalten und Platz für die guten Gesprächspartner machen.

    Liebe Grüße,
    Isabella

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