Der erste Therapieabschnitt ist geschafft, am 2. April hatte
ich die letzte Chemo! Das ist jetzt drei Wochen her und ich hatte danach viele
Untersuchungen, angefangen von endloser Blutabnehmerei, über den Kardiologen,
die Mammographie, Thorax röntgen und Gespräche. Mein OP-Termin ist am 5.5.15 –
wenn das kein Glücksdatum ist! Ich freue mich sehr auf diesen Tag und bin
glücklich, dass dann Schritt II überstanden ist.
Die letzte Chemo hat es mir nochmal so richtig gezeigt! Aber
– ich habe mich nicht unterkriegen lassen, ich habe mich gesträubt und es mir
trotzdem schön gemacht. Es ist April und der Mai steht quasi schon vor der Tür,
wer lässt sich da von Übelkeit und Kopfschmerzen, Schlappheit,
Konzentrationsschwäche und Antriebslosigkeit unterkriegen, doch wohl keiner –
und ich schon gar nicht (oder manchmal doch?), nein, ich bin damit durch!
Grübeleien, warum-wieso-weshalb, Zukunftsängste und
was-hat-mir-das-jetzt-gebracht? gab es natürlich auch, und wenn ich ehrlich
bin, ganz schön häufig. Dunkle und schwere Gedanken, sie kommen, aber sie gehen
auch wieder. Ich geben diesen Gedanken Raum, aber nur eine ganz konkrete Zeit,
sie beherrschen mich nicht, ich steuere meine Gedanken und lass sie kreativ
werden, alles andere ist Mist!
Die neuesten Erkenntnisse der Forschung: Krebs ist nur
Zufall, jeden kann es erwischen… Ja, das klingt gut – oder eben auch nicht. Ich
bin überzeugt, dass sich in so einer Situation viele Menschen fragen, was
dieser Schicksalsschlag, diese Krankheit oder was einem auch immer passiert,
was das für den Einzelnen bedeutet. Eine Krebserkrankung bedeutet für jeden
(den ich bisher gesprochen habe), dass sich die Tür zum Tod zumindest ein
bisschen öffnet. Da ist eine Tür, die vorher noch nicht da war und sie steht
ein kleines bisschen offen!
Keiner will diese Tür sehen, dahinter ist es schwarz und
zwischen mir und der Tür stehen eine Unmenge von offenen Fragen und Wünschen.
Auf einmal ist das Leben endlich und es beginnt ein neuer
Lebensabschnitt. Für mich ist es so, als ob ich ein zweites Mal erwachsen
werde, sozusagen Pubertät mit 50!
Ich höre immer wieder Geschichten, wie, die Krankheit hat
mein Leben verändert, dadurch habe ich erst zu mir selbst gefunden! Bestimmt
ist es so oder ähnlich. Fakt ist, dass die Menschen sich durch die
schicksalhafte oder zufällige (das will ich mal dahingestellt sein lassen)
Lebensveränderung selbst verändern, sich in Frage stellen und ihr Lebenskonzept
neu beschließen oder es überhaupt erst erstellen.
Ich für mich merke, dass ich leichter geworden bin (und
hiermit meine ich nicht mein Gewicht, wobei ich tatsächlich 5 kg abgenommen
habe). Nein, leichter geworden in dem Sinne, dass ich meinen vergangenen
Ballast abwerfe, das ist ein großer Prozess, der größte wahrscheinlich.
Ein halbes Jahr nach der Diagnose bin ich Ende Dezember mit Sina
und Jona in eine kleinere Wohnung umgezogen. Dafür habe ich etwa 500 Bücher
aussortiert (warum brauche ich Bücher übers Mittelalter?), ich habe sie
entsorgt, weggeben, verschenkt und teilweise (die schönen Kinderbücher) in
Kartons verpackt und auch die meisten davon weggeben…
Nun steht ein winzig kleiner Rest in meinem neuen Zimmer. In
dem Regal ist jetzt sogar Platz für meine Ordner und natürlich für neue und aktuelle
Bücher. Ich werde sie nicht mehr sammeln, ich lese sie und gebe sie weiter. Ein
bisschen Lieblingsliteratur hebe ich auf, manchmal macht es Spaß, da seine Nase
nochmal reinzustecken und sich zu inspirieren. Wie beispielsweise „Die 7 Wege
zur Effektivität“ – mein absolutes Lieblingsbuch!
Wohingegen dieses hier sich nur versehentlich in mein Regal
verirrt haben kann:
(wahrscheinlich von Nico, meins ist es definitiv nicht!).
Außerdem habe ich dreiviertel meines Kleiderschrankes aussortiert
und zu Oxfam gefahren. Darüber hinaus habe ich meine Kisten und Kästchen
ausgeleert, Erinnerungen, Briefe, Zettelchen, Zeitungsausschnitte, etc. Diese
Sammlungen, die sich wahrscheinlich in jedem Haushalt in größerer oder
kleinerer Menge befinden, habe ich erbarmungslos reduziert.
Diese ganze Altlastenverwertung spiegelt nur den äußeren
Prozess wider, der innere ist ähnlich… Auch hier sortiere ich aus und bringe
die Gedanken sinnbildlich zum „Wertstoffhof“.
Dieses Ausmisten kann natürlich auch ohne einen konkreten
Anlass stattfinden, dazu ist bestimmt keine Krankheit notwendig, aber sie ist eben ein
guter Anlass.
Man kann sein Leben jeden Tag verändern, dazu bedarf es nur
einer Entscheidung. Wird keine Entscheidung getroffen, ergibt sich häufig eine
Zwangsentscheidung, das Leben, Schicksal, Universum, Krebs, unsere
Entscheidungslosigkeit, wer auch immer… zwingt uns dazu. Viellicht hätte man
dem zuvor kommen können, vielleicht nicht.
Wichtig ist nur, dass wir diesen Prozess regelmäßig angehen
und keinesfalls nur so vor uns hinleben, dann dafür ist die Lebenszeit
definitiv zu kostbar! Jeder Tag kann ein
Entscheidungstag sein, wir entscheiden, was wir denken und wie wir handeln und
entscheiden damit auch, welche Konsequenzen das für uns hat. Was auch immer
passiert, ich habe die Möglichkeit eine Entscheidung zu treffen, und wenn ich
mich nicht entscheide, ist auch dies eine Entscheidung, ich tue nichts, also
bleibt alles so wie es ist. Oder ich wähle eine aus 1 Million Möglichkeiten und
nehme mein Leben in die Hand.
Ich habe ausgemistet und ich bin teilweise immer noch dabei.
Deshalb fühle ich mich leichter und ich habe viel über Entscheidungen und
Verantwortung nachgedacht. Für meine Entscheidungen bin ich verantwortlich und
ich trage die Konsequenzen. Und genau das bedeutet es, erwachsen zu werden.
Ich fühle mich groß, ich fühle mich leicht und ich fühle
mich unbeschwert! Ich bin unglaublich glücklich dabei und das trotz dieser
schwierigen und nervigen Krebskrankheit! Es ist nicht so, dass ich bisher keine
Entscheidungen getroffen habe, aber ich gehe das Leben jetzt noch viel bewusster
an.
Und was hat jetzt das Ganze mit Tagaluga zu tun? Peter
Maffay hat 1983 (da war ich 19) ein Lied gesungen, in dem es um das
Erwachsenwerden ging. Die alte weise Schildkröte Nessaja erzählt dem kleinen
Drachen Tabaluga ihre Geschichte und warum sie nie erwachsen werden wollte… das
Lied kam mir vor ein paar Tagen in den Sinn und wie das so mit Musik ist,
weckt sie alte Erinnerungen:
Hier ist der Songtext.
Allerdings bin ich weder eine alte Schildkröte, noch ein
junger Drache, viel eher bin ich ein Elch! Und Elche sind Herdentiere mit einer
wunderbaren Herde und ein stattlicher Rudelführerelch, wie ich einer bin, der
darf ruhig zweimal erwachsen werden.
Diesmal ist dieser Prozess ein anderer, ich werde nicht
erwachsen, weil ich kein Kind mehr bin, sondern ich entscheide, wie ich lebe
und ich kann dabei täglich die Glückseligkeit eines Kindes in mir tragen – wie schön
ist das!
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