Heute war
ein Angsttag. Und ich muss leider sagen, dass es nicht leicht ist, darüber zu
reden. Aber heute war auch ein Tag, an dem wir lange über die Zukunft
gesprochen haben.
Aber ich
beginne mit der Angst: Wir
beschwichtigen, wir verdrängen und wir denken selbstverständlich positiv. Quasi
als Selbstverpflichtung. Angst haben, bedeutet schwach zu sein und Angst
aussprechen, sie ans Tageslicht holen, ist eigentlich undenkbar. Denn wenn wir
über die Angst reden, dann reden wir auch über das, wovor wir uns so furchtbar
fürchten.
Ich weiß
seit sieben Monaten, dass ich Brustkrebs habe. Die Diagnose bekam ich, fast auf
den Tag genau, drei Wochen vor Sinas 20. Geburtstag. Das ist jetzt sieben
Monate her und seit sieben Monaten ist die Angst unser ständiger Begleiter. Die
Angst ist etwas sehr Persönliches, sie ist nicht nur ein Gefühl, nein, sie ist
ein Teil von uns, der uns sehr genau kennt. Und in manchen Situationen spricht
sie sogar mit uns, sie weiß auch, dass sie sich mit sehr leiser Stimme Gehör
verschaffen kann. Sie ist niemals laut, sie muss auch nicht viel sagen, sie
schleicht sich einfach in unsere Gedanken. Sie zeigt sich nur, wenn wir alleine sind, wenn es
dunkel wird und wenn sie weiß, dass wir ihr nicht entkommen können. Sie ist
hinterhältig und heimtückisch, wie eine gemeine Hexe aus dem Märchen. Und sie
ist bösartig und klebrig, wie ein altes Kaugummi, das man nicht mehr von seinen
Schuhen kratzen kann, denn sie verfolgt uns auf Schritt und Tritt.
Heute
Morgen habe ich mit Michaela telefoniert, ich kenne sie aus der Chemo-Praxis
und sie hat gerade ihren Wiederaufbau in München machen lassen. Es hat mich fast
ein bisschen erleichtert, dass nicht nur ich so paranoid bin, denn bei ihr ist
es genauso. Wir haben uns die tupfen gleiche Geschichte erzählt: Ich hatte
letzte Woche Kopfschmerzen, ganz normale Kopfschmerzen, wie sie jeder hat. Und
doch war gleich wieder diese Angststimme zur Stelle, sehr leise, aber penetrant: „Vielleicht
sind es ja Hirn-Metastasen!“ Ich habe das natürlich sofort korrigiert,
„neeeiiin, es sind ganz normale Kopfschmerzen, warum sollte das etwas anderes
sein!“ Aber der Gedanke ist da, sofort verdrängt und auch nicht zuende gedacht,
aber er ist da. Einmal gedacht, kann man ihn weit wegschieben, aber nicht mehr
eliminieren!
Ja, und
diese Gedanken gibt es leider, und je nach Situation kommen sie dann auch
wieder: Was ist, wenn der Krebs wiederkommt? Was ist, wenn es Metastasen gibt,
was ist, wenn er streut, was ist, wenn die Chemo nicht wirkt? Was ist, wenn….
Ach es gibt viele solcher Was-ist-Varianten und meine Angststimme kann die auch
ganz wunderbar kombinieren.
Und ich bin
nicht alleine, die Angst begnügt sich nämlich nicht, nur mich zu attackieren,
sie bewegt sich blitzschnell auch innerhalb der Familie und schlüpft in jedes
Zimmer. Bei Sina ist sie besonders gern und darüber haben wir heute gesprochen.
Man kann nicht jeden Tag gleich mutig und positiv gestimmt sein. Bei 7° und
Regenwetter, Wind und dazu noch dunkelgrauen Dauerregenwolken, da weiß man schon
beim Aufstehen, dass der schwere traurige Klumpen im Bauch nicht weggehen wird.
Sina geht
es oft nicht gut, wie sollte es auch. Ihre Mama hat Krebs und sie sieht, wie
ich leide. Sie sieht meine Tapferkeit, sie sieht aber auch, wie fertig ich bin.
Gerade die dritte Chemo setzt mir diesmal arge zu, meine Augen tränen seit drei
Wochen, ich habe aufgequollene Augen, die zarte Haut darunter ist ziemlich malträtiert,
ich wische ja auch ständig herum. Meine Augencreme versagt und ich schmiere
mittlerweile die Bepanthen Augen- und Nasensalbe in und um die Augen, dass
hilft zumindest für den Moment. Aber, na ja, wörtliches Zitat: „Mama, du siehst
schlimm aus, und es bricht mir das Herz, dich so zu sehen!“ Ich quieke tapfer
zurück: „Ach neee, geht schon!“ Ich will so gerne stark sein, aber das hier
braucht wirklich kein Mensch, wirklich nicht, der Krebs nervt langsam sehr!
So kommen
wir ins Gespräch und ich kann Sina so gut verstehen. Sie sollte sich eigentlich
mit sich beschäftigen, ihre eigene Zukunft sollte im Mittelpunkt stehen und ich
sollte ihr Fels in der Brandung sein. Das ist nämlich meine wirkliche Aufgabe,
und nicht der Sch…-Krebs!
Wenn man
jung ist, sollte man seine Möglichkeiten und Begabungen nutzen, in die Welt
ziehen und gucken, wo es einen hintreibt, herausfinden wer man ist und was man
möchte. Die Zeit zwischen 20 und 30 ist so einmalig, die Welt steht einen im
ganzen Umfang offen und das Reisen ist unglaublich wichtig. Jeder junge Mensch
sollte die Chance nutzen und sich unsere Erde ansehen. Menschen kennenlernen,
sich kennenlernen, unabhängig und ungebunden sein. Eine Zeit neue Länder und
Städte erleben, dort wohnen, andere Sprachen lernen und Abstand gewinnen.
Abstand von der Familie, vom eigenen Ich, vom eigenen Land und der Stadt, in
der man lebt. Nur wer wirklich weg war, kann Gewohnheiten ändern und eine neue
Lebensphilosophie mitbringen.
Was gibt es
Schöneres auf der Welt, als zu verreisen?! Und es gibt auch nichts, was die
Angst besser vertreibt, als den Koffer zu packen und dem Alltag den Rücken zu
kehren!
Sina hat
vor einem Monat einen Flug nach Thailand gebucht und der Rucksack steht schon
halb gepackt in ihrem Zimmer. Morgen fährt sie nach Amsterdam und verabschiedet
sich von ihren Freunden.
Am Samstag feiern wir meinen 51. Geburtstag und am Montag
geht’s los für sie. Ich hoffe, dass ich morgen meine letzte Chemo habe (heute
waren die Blutwerte noch nicht so) und dann ist auch dieser Abschnitt fast zu
Ende. Ich bin so glücklich, dass Sina die Zeit zwischen Chemo-Ende und Bestrahlung
nochmal verreist.
Miteinander
reden ist wichtig, nachdem wir uns so viel erzählt haben, unsere Angstgefühle
mal nicht geleugnet haben, sieht die Welt wieder freundlicher aus. Die Angst
ist natürlich nicht verschwunden, aber sie ist nicht mehr so präsent und das
ist gut so. Richtig stark sein kann man nur, wenn man seine schwachen Momente
zulässt!
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