Dienstag, 26. Mai 2015

Zwei Operationen und warum mich Krankenhäuser nerven



Zehn Tage ist meine zweite Operation jetzt her und die Vorläuferzellen sind alle weg. Morgen lasse ich die Fäden ziehen und dann ist Phase II abgeschlossen.



Ich habe meine Heilungsphasen gedrittelt: Schritt I war die Chemo-Therapie, Schritt II die Operation und Schritt III wird die Bestrahlung.



Wenn eine Zeit dem Ende zugeht, guckt man automatisch noch einmal zurück und lässt Revue passieren, wie es so war. Ich stecke zwar noch mitten drin, habe aber mittlerweile schon etwas Abstand.



Aber bevor ich davon erzähle, schreibe ich erstmal, wie es im Krankenhaus war:



Am 5. Mai war die Operation.

Direkt vorher musste die Clipmarkierung verdrahtet werden. Das bedeutet, dass der Clip (der vor ca. einem halben Jahr gesetzt wurde, um die Tumorstelle nach der Chemo wiederzufinden), mit einem Draht verbunden wird, der dann vorne aus der Brust steht. Das klingt genauso schlimm, wie es war! Ich bin wirklich ein tapferer Mensch, aber das war barbarisch!

Diese Verdrahtung wurde an einem Mammografie-Röntgengerät durchgeführt. Dazu wurde meine Brust eingequetscht und dazu parallel geschaut, wo genau der Clip liegt. Dann wurde ein Draht mittels einer Nadel in die eingequetschte Brust geführt und im Prinzip wurde so lange geprokelt, bis der Clip mit dem Draht verbunden war. Bevor es allerdings soweit war, wurde die Brustquetsche immer wieder neu eingestellt. Mir blieb vor Schmerz fast die Luft weg und es war schier unerträglich. Diese Prozedur war sehr schlimm, die gequetschte Brust und das Einstechen und Prokeln taten sehr weh und auch die Stelle zwischen den Brüsten, wo das Gerät gegen sie drückt, schmerzte wahnsinnig.  

Die Schwestern waren richtig nett und haben versucht, es so schnell und so gut wie möglich zu bewerkstelligen. Die Ärztin war distanziert und eher semifreundlich. Es dauerte gefühlt sehr lange und war mehr als unangenehm. Als der Draht dann endlich aus der Brust ragte, wurde er etwas gekürzt und ich bekam einen Plastikbecher als Schutz aufgeklebt.



Direkt danach habe ich mich schon gefragt, ob das wirklich so gemacht werden muss und ob man die Prozedur nicht erst unter der Narkose durchführen könnte. Ganz ehrlich, ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mann das mit sich machen lassen würde! Was uns Frauen da zugemutet wird, ist wirklich unmenschlich.



Das war der schlimmste Teil von allem, alles was danach kam, war einfach.



Ich wurde gegen Mittag operiert und alles verlief gut. Im Aufwachraum wurde ich aufgeweckt und von einem supernetten Krankenpfleger umsorgt.  Mir war furchtbar kalt, aber er hat mit einem Wärmepuster und seiner sehr freundlichen und empathischen Art schnell für Abhilfe gesorgt. Im Zimmer ging es mir dann ziemlich schlecht, mir war sterbenselend und ich musste mich leider übergeben. Eigentlich hatte ich etwas gegen die Übelkeit in die Narkose bekommen, aber das Gefühl hörte trotzdem bis spät abends nicht auf… 

 

Ab dem nächsten Tag ging es mir gut und der normale Krankenhausalltag begann. Mit Frühstück, Mittagessen und Abendbrot, Langeweile, Lesen und vielen Gesprächen über Krankheiten. 

 

Aber die Langeweile nervt, ich lag im Bett und wartete bis irgendetwas passiert! Und es passiert einfach nichts. Außer langweilige Gespräche über langweilige Krankheiten...

Ich wurde sehr unruhig und habe so lange gedrängelt, bis ich dann am Samstag entlassen wurde.  


Nach einer knappen Woche musste ich schon wieder für die Nachresektion rein. Diesmal lief alles sehr gut und auch die Narkose habe ich ohne Übelkeit überstanden. Die Schwestern im Vinzenz-Krankenhaus sind alle sehr freundlich und hilfsbereit.  Ich wollte nachmittags ins Krankenhaus-Café, um mir einen Cappuccino zu holen, aber das wurde mir leider verwehrt. Eine besonders nette Schwester meinte, dass man am Operationstag nicht alleine durch das Krankenhaus spazieren dürfe und dann hat sie für mich einen frischen Kaffee aufgebrüht und ihn mir gebracht! 
Die nächsten zwei Tage gehen mit viel Besuch ganz gut rum, aber ich möchte unbedingt nach Hause. Am Sonntag soll meine Redon-Drainage entfernt werden, aber ich muss ziemlich lange warten, es ist halt Wochenende. Es ist 20.00 Uhr als die Ärztin Frau Alliu endlich kommt, sie beendete erst noch die Visite vom Morgen. Sie war den ganzen Tag im Kreissaal und kam dann zu mir. Sie ist Assistenzärztin und hat eine 24-Stunden-Schicht. 



 

Sie hat mir meine Redon-Drainage gezogen und ich hatte ein bisschen Angst vor dem Schmerz. Aber es war überhaupt nicht schlimm, keine Ahnung warum ich da vorher so empfindlich war… Ich hab ihr gesagt, dass ich vorher mehr Angst hatte, als es nötig war und hab ihr von meinen Gedankenblockern erzählt, die mir sonst helfen. Sie war so extrem erstaunt über die Menschen und sagte, dass für sie Gottvertrauen das wichtigste sei. Sie könne überhaupt nicht verstehen, warum die Menschen hier immer das Schlimmste erwarten und so gar kein Vertrauen in das Gute haben. Welch eine schöne Einstellung!



Am Montag durfte ich endlich nach Hause, eigentlich keine lange Zeit, aber lang genug. Auf das Ergebnis musste ich noch bis Donnerstag warten.  



Nachmittags sind wir in die Stadt gefahren und haben bei Vapiano Salat und Kuchen gegessen und viel erzählt.


 


 



Dann habe ich mir schokobraune Haarfarbe gekauft und sie gleich abends aufgetragen. Die Haare sind zwar megakurz, aber es ist keine richtige Glatze mehr, also habe ich es gewagt!  



Zwei Tage später bin ich wieder in die Stadt gefahren und es war richtig gut, es hat mich keiner mehr angestarrt, sondern es war das erste Mal wieder ganz normal! :) ich glaube, ich sollte unbedingt mal über meine Haare schreiben…



Wir drei treffen uns abends in der Stadt und gehen zu Vapiano und essen alle einen Salat.





Montag, 11. Mai 2015

Mut, Zuversicht und Gottvertrauen, und warum man manchmal Gedankenblocker braucht



Nun hat der schöne Monat Mai begonnen und mein zweiter Therapieschritt ist so gut wie abgeschlossen. Am 5. Mai war meine Brust-Operation und der Tumor ist fast beseitigt. Allerdings nur fast, weil ein „kleiner intraduktaler Karzinomrest im lateralen Drittel des BET-Präparates“ verblieben ist (ein sogenannter DCIS – duktales Carcinoma in situ). Darüber bin ich natürlich überhaupt nicht begeistert, das bedeutet, dass ich am Freitag noch einmal operiert werde…
Seit Mittwoch hatte ich gedrängelt, dass ich endlich entlassen werde, damit dieser Schritt auch erledigt ist und nun geht es noch einmal los. Meine Familie hat das ziemlich getroffen und so hat jeder seine ganz eigenen Gedanken dazu.

Seit Samstag bin ich zuhause und genieße jetzt die Zeit vor meinem nächsten Aufenthalt. Und ich bin sehr konsequent mit der Verwendung meiner Gedankenblocker. Ich habe wenig Lust, mich mit möglichen oder unmöglichen, mit wahrscheinlichen oder unwahrscheinlichen Gedanken, Zweifeln und Sorgen  auseinanderzusetzen. Sie kommen unweigerlich und genauso schnell weigere ich mich, sie anzunehmen. Ich habe zwei bzw. drei Gedankenblocker, das sind Mut, Zuversicht und Gottvertrauen. Ich fange mal mit den ersten beiden an: Mut und Zuversicht, die beiden sind so etwas wie ein Lebensmotto. Ich habe darüber mal eine schöne Geschichte gelesen, bekomme sie aber leider nicht mehr ganz zusammen und finde sie auch nicht wieder. So versuche ich, sie aus dem Gedächtnis heraus zu schreiben:

Es kommt ein sehr alter Mann zu seinem Arzt. Nach der Untersuchung stellt der Doktor fest, dass der Mann topfit und bei guter Gesundheit ist. Freudig überbringt er dem Mann das Untersuchungsergebnis und der sagt daraufhin, dass er täglich zuverlässig seine zwei Löffel Medizin genommen habe. Der Arzt sieht in seine Akte und erwidert, dass er ihm keine Medizin verschrieben habe. Nun lächelt der alte Mann und erklärt: „Ich nehme jeden Morgen einen Löffel Mut und einen Löffel Zuversicht. Und mit dieser starken Medizin bin ich gut gewappnet, für alles was für einen Tag auf mich zukommt!“

Diese Geschichte habe ich vor vielen Jahren gelesen und seit dem wende ich sie an.
Es gibt vieles im Leben, was von uns Mut erfordert. Mut ist das Gegenteil von Angst und Angst ist kein guter Weggefährte. Wenn ich versuche, diese beiden Gefühle mit einer Farbe zu verbinden, dann sieht die Angst schwarz aus und ist aus einer watteartigen, aber schweren Konsistenz. Mut dagegen leuchtet in einer hellgelben Farbe und ist eher mit einem Wärmegefühl vergleichbar. Füllt man seine Seele mit Mut, dann hebt sich der Brustkorb und die helle Farbe verteilt sich im ganzen Körper!

Zuversicht ist der treue Begleiter von Mut, denn wir können nicht mutig sein und gleichzeitig pessimistisch. Mut und Zuversicht sind quasi zwei gute Freunde, die sich niemals im Stich lassen. Und die auch uns niemals im Stich lassen, wenn wir sie in uns aufnehmen. Wenn wir Mut und Zuversicht in unsere Seele lassen, dann fühlen wir ein warmes wohltuendes Strahlen, das uns den ganzen Tag begleitet.

Mein dritter Gedankenblocker ist Gottvertrauen. Ich habe in mir die tiefe Gewissheit, dass sich alles fügt und dass alles genau so kommt, wie es kommen soll. Anfangs wissen wir oft nicht, warum dieses oder jenes gerade passiert und wir hadern vielleicht mit dem Schicksal. Später kommt häufig die Klarheit: „Wie gut, dass das damals passiert ist…“ Vielleicht wird es uns aber auch nicht klar, das bedeutet aber nicht, dass es schlecht war oder keine Bedeutung hatte. Wir kennen vermutlich nur die Zusammenhänge nicht und genau darum heißt es Vertrauen. Vertrauen darauf, dass es sich fügt und dass wir uns in unserem Lebensweg geborgen und sicher fühlen.

Sonntag, 26. April 2015

Was Tabaluga und den Krebs unterscheidet!



Der erste Therapieabschnitt ist geschafft, am 2. April hatte ich die letzte Chemo! Das ist jetzt drei Wochen her und ich hatte danach viele Untersuchungen, angefangen von endloser Blutabnehmerei, über den Kardiologen, die Mammographie, Thorax röntgen und Gespräche. Mein OP-Termin ist am 5.5.15 – wenn das kein Glücksdatum ist! Ich freue mich sehr auf diesen Tag und bin glücklich, dass dann Schritt II überstanden ist.



Die letzte Chemo hat es mir nochmal so richtig gezeigt! Aber – ich habe mich nicht unterkriegen lassen, ich habe mich gesträubt und es mir trotzdem schön gemacht. Es ist April und der Mai steht quasi schon vor der Tür, wer lässt sich da von Übelkeit und Kopfschmerzen, Schlappheit, Konzentrationsschwäche und Antriebslosigkeit unterkriegen, doch wohl keiner – und ich schon gar nicht (oder manchmal doch?), nein, ich bin damit durch!



Grübeleien, warum-wieso-weshalb, Zukunftsängste und was-hat-mir-das-jetzt-gebracht? gab es natürlich auch, und wenn ich ehrlich bin, ganz schön häufig. Dunkle und schwere Gedanken, sie kommen, aber sie gehen auch wieder. Ich geben diesen Gedanken Raum, aber nur eine ganz konkrete Zeit, sie beherrschen mich nicht, ich steuere meine Gedanken und lass sie kreativ werden, alles andere ist Mist!



Die neuesten Erkenntnisse der Forschung: Krebs ist nur Zufall, jeden kann es erwischen… Ja, das klingt gut – oder eben auch nicht. Ich bin überzeugt, dass sich in so einer Situation viele Menschen fragen, was dieser Schicksalsschlag, diese Krankheit oder was einem auch immer passiert, was das für den Einzelnen bedeutet. Eine Krebserkrankung bedeutet für jeden (den ich bisher gesprochen habe), dass sich die Tür zum Tod zumindest ein bisschen öffnet. Da ist eine Tür, die vorher noch nicht da war und sie steht ein kleines bisschen offen!



Keiner will diese Tür sehen, dahinter ist es schwarz und zwischen mir und der Tür stehen eine Unmenge von offenen Fragen und Wünschen.

Auf einmal ist das Leben endlich und es beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Für mich ist es so, als ob ich ein zweites Mal erwachsen werde, sozusagen Pubertät mit 50!



Ich höre immer wieder Geschichten, wie, die Krankheit hat mein Leben verändert, dadurch habe ich erst zu mir selbst gefunden! Bestimmt ist es so oder ähnlich. Fakt ist, dass die Menschen sich durch die schicksalhafte oder zufällige (das will ich mal dahingestellt sein lassen) Lebensveränderung selbst verändern, sich in Frage stellen und ihr Lebenskonzept neu beschließen oder es überhaupt erst erstellen.



Ich für mich merke, dass ich leichter geworden bin (und hiermit meine ich nicht mein Gewicht, wobei ich tatsächlich 5 kg abgenommen habe). Nein, leichter geworden in dem Sinne, dass ich meinen vergangenen Ballast abwerfe, das ist ein großer Prozess, der größte wahrscheinlich.



Ein halbes Jahr nach der Diagnose bin ich Ende Dezember mit Sina und Jona in eine kleinere Wohnung umgezogen. Dafür habe ich etwa 500 Bücher aussortiert (warum brauche ich Bücher übers Mittelalter?), ich habe sie entsorgt, weggeben, verschenkt und teilweise (die schönen Kinderbücher) in Kartons verpackt und auch die meisten davon weggeben… 




Nun steht ein winzig kleiner Rest in meinem neuen Zimmer. In dem Regal ist jetzt sogar Platz für meine Ordner und natürlich für neue und aktuelle Bücher. Ich werde sie nicht mehr sammeln, ich lese sie und gebe sie weiter. Ein bisschen Lieblingsliteratur hebe ich auf, manchmal macht es Spaß, da seine Nase nochmal reinzustecken und sich zu inspirieren. Wie beispielsweise „Die 7 Wege zur Effektivität“ – mein absolutes Lieblingsbuch!




 
Wohingegen dieses hier sich nur versehentlich in mein Regal verirrt haben kann:


(wahrscheinlich von Nico, meins ist es definitiv nicht!).




Außerdem habe ich dreiviertel meines Kleiderschrankes aussortiert und zu Oxfam gefahren. Darüber hinaus habe ich meine Kisten und Kästchen ausgeleert, Erinnerungen, Briefe, Zettelchen, Zeitungsausschnitte, etc. Diese Sammlungen, die sich wahrscheinlich in jedem Haushalt in größerer oder kleinerer Menge befinden, habe ich erbarmungslos reduziert.

Diese ganze Altlastenverwertung spiegelt nur den äußeren Prozess wider, der innere ist ähnlich… Auch hier sortiere ich aus und bringe die Gedanken sinnbildlich zum „Wertstoffhof“.



Dieses Ausmisten kann natürlich auch ohne einen konkreten Anlass stattfinden, dazu ist bestimmt keine Krankheit notwendig, aber sie ist eben ein guter Anlass.



Man kann sein Leben jeden Tag verändern, dazu bedarf es nur einer Entscheidung. Wird keine Entscheidung getroffen, ergibt sich häufig eine Zwangsentscheidung, das Leben, Schicksal, Universum, Krebs, unsere Entscheidungslosigkeit, wer auch immer… zwingt uns dazu. Viellicht hätte man dem zuvor kommen können, vielleicht nicht.



Wichtig ist nur, dass wir diesen Prozess regelmäßig angehen und keinesfalls nur so vor uns hinleben, dann dafür ist die Lebenszeit definitiv zu kostbar!  Jeder Tag kann ein Entscheidungstag sein, wir entscheiden, was wir denken und wie wir handeln und entscheiden damit auch, welche Konsequenzen das für uns hat. Was auch immer passiert, ich habe die Möglichkeit eine Entscheidung zu treffen, und wenn ich mich nicht entscheide, ist auch dies eine Entscheidung, ich tue nichts, also bleibt alles so wie es ist. Oder ich wähle eine aus 1 Million Möglichkeiten und nehme mein Leben in die Hand.



Ich habe ausgemistet und ich bin teilweise immer noch dabei. Deshalb fühle ich mich leichter und ich habe viel über Entscheidungen und Verantwortung nachgedacht. Für meine Entscheidungen bin ich verantwortlich und ich trage die Konsequenzen. Und genau das bedeutet es, erwachsen zu werden.



Ich fühle mich groß, ich fühle mich leicht und ich fühle mich unbeschwert! Ich bin unglaublich glücklich dabei und das trotz dieser schwierigen und nervigen Krebskrankheit! Es ist nicht so, dass ich bisher keine Entscheidungen getroffen habe, aber ich gehe das Leben jetzt noch viel bewusster an.



Und was hat jetzt das Ganze mit Tagaluga zu tun? Peter Maffay hat 1983 (da war ich 19) ein Lied gesungen, in dem es um das Erwachsenwerden ging. Die alte weise Schildkröte Nessaja erzählt dem kleinen Drachen Tabaluga ihre Geschichte und warum sie nie erwachsen werden wollte… das Lied kam mir vor ein paar Tagen in den Sinn und wie das so mit Musik ist, weckt sie alte Erinnerungen:

Hier ist der Songtext.



Allerdings bin ich weder eine alte Schildkröte, noch ein junger Drache, viel eher bin ich ein Elch! Und Elche sind Herdentiere mit einer wunderbaren Herde und ein stattlicher Rudelführerelch, wie ich einer bin, der darf ruhig zweimal erwachsen werden. 




Diesmal ist dieser Prozess ein anderer, ich werde nicht erwachsen, weil ich kein Kind mehr bin, sondern ich entscheide, wie ich lebe und ich kann dabei täglich die Glückseligkeit eines Kindes in mir tragen – wie schön ist das!

Donnerstag, 16. April 2015

Wie geht es dir? – eine ernst gemeinte Frage oder ist die Frage ernst gemeint



Die Frage, Wie geht es dir?, habe ich in den letzten Monaten sehr oft gehört. Und ich muss zugeben, mittlerweile stehe ich dieser Frage sehr ambivalent gegenüber.

Ich kann natürlich jeden verstehen, der fragt, wie es mir geht. Ich bin ein offener Mensch und erzähle durchaus von mir. Allerdings möchte ich die Möglichkeit haben zu entscheiden, wann ich was erzähle. Also im Klartext, ich möchte entscheiden, zu welchem Zeitpunkt ich erzähle und worüber ich berichten möchte.

Eine Freundin von mir, ich nenne sie der Einfachheit halber Vera (es gibt viele Veras), kommt in meine Wohnung und fragt sofort: „Wiie geeht es diiiiir?“ Sie hat noch nicht einmal ihre Jacke ausgezogen, noch hat sie mich richtig begrüßt, aber sie fragt, wie es mir geht. Was soll ich dazu sagen? Ich antworte also  erstmal: „Gut! und dir?“. Sie antwortet beispielsweise: „Gut!, aber wie geht es diiir?“

Ich weiß, dass diese Frage schon ernst gemeint ist, sie betont jeden Vokal und es drückt (scheinbar) Interesse aus. Aber der Zeitpunkt ist einfach falsch. Mich macht diese Frage mittlerweile sauer, denn ich finde sie ziemlich unsensibel. Denn durch den Zeitpunkt dieser Frage, nimmt der Fragesteller mir die Möglichkeit zu antworten.

Natürlich verstehe ich Vera und natürlich möchte ich ihr erzählen, wie es mir geht. Aber doch nicht gleich, wenn sie zur Tür reinkommt. In diesem Fall ist die Frage doch rhetorisch und man antwortet normalerweise mit einem einfachen „danke, gut!“, und dann ist es auch gut. Auch ich stelle diese rhetorischen Fragen, denn eigentlich sind sie höflich gemeint. Man hat sich länger nicht gesehen und fragt höflich, man ist freundlich zueinander.
Aber man erwartet zu diesem Zeitpunkt nicht, dass jemand seine Lebens-, Krankheits- oder Befindlichkeitsgeschichte auspackt. Dazu sucht man sich besser einen geeigneten Zeitpunkt. Hat jemand gerade Probleme im Job, fragt man doch auch, wie es ihm geht und erwartet nicht sofort an der Tür eine Antwort auf seine Jobsituation. Mit meinem Krebs ist das nicht anders, natürlich möchte ich drüber reden und natürlich interessiert es die Menschen, wie es mir geht!

Aber ich habe nicht nur Krebs, sondern ich bin immer noch ein Mensch mit ganz vielen Interessen, mit vier Kindern, mit Freunden, mit einer neuen Wohnung, mit zwei Hunden und vielem mehr. Es gibt einfach noch so viel mehr, über das man mit mir reden kann und für mich ist manchmal schlimm, wenn der Krebs im Vordergrund steht. Natürlich hat der Krebs in dieser Phase einen hohen Anteil in meinem Leben, denn schließlich bin ich mitten in der Therapie. Aber es gibt auch Situationen, gerade wenn ich andere Menschen treffe, da freue ich mich sehr, wenn ich den Krebs einfach mal vergessen kann, wenn er mal nicht präsent ist.

Und dann kommt Vera: „Wiie geeht es diiiiir?“
                 
Ich bin also sofort etwas angenervt und antworte mit einer neutralen Phrase. Und ich bin mir auch bewusst, dass ich Vera damit vor den Kopf stoße, denn im Grunde möchte sie am liebsten gleich wissen, wie es mir geht. Aber in dieser Situation kann und will ich nicht antworten, ich möchte lieber später dazu erzählen. Denn natürlich ist es auch so, dass ich ein großes Bedürfnis habe, über meinen Krebs zu reden.

Allerdings ist das leider nicht immer einfach, denn es gibt bei Krebs eine große Hemmschwelle. Krebs ist mit so schlimmen Ängsten verbunden, dass es vielen Menschen schwer fällt, wirklich darüber zu reden. Denn wenn man sich mit der Krankheit beschäftigt, dann muss man sich automatisch mit sich selbst auseinandersetzen. Man erkennt, wie schnell Krebs einen selber treffen und wie wenig man sich davor schützen kann. Noch gibt es keine Impfung gegen Krebs, keiner kann sich sicher sein, ob die eigenen Zellen nicht eines Tages auch verrücktspielen.

So ist das auch bei Vera. Sie möchte wissen, wie es mir geht, möchte sich aber im Grunde nicht so intensiv mit der Thematik befassen. Also sind ihre Fragen nicht sehr differenziert, ihr Interesse nicht wirklich tief. Für mich ist das unbefriedigend, denn ich kann nur über mich reden, wenn mein Gesprächspartner auch innerlich dazu bereit ist.

Wenn ich sage, dass Vera sich nicht intensiv mit der Thematik befasst, dann meine ich nicht, dass sie zum Krebsexperten werden soll. Denn dazu habe ich meine Ärzte! Nichts ist schlimmer, als selbst ernannte Experten, die zu allen etwas wissen. Aber ich möchte im Zweifel natürlich schon, dass mir mein Gesprächspartner zuhört und dass er meine Geschichte auch versteht. Eine gute Freundin von mir hat MS, also ist es doch nur natürlich, dass ich diese Krankheit einmal google und mich ein Stück weit damit beschäftige. Ein gewisses Grundwissen setze ich bei mir auch voraus, denn nur so kann es zu guten Gesprächen kommen.  

Wahrscheinlich kann jeder, der eine größere Krankheit hat, diese Situation total nachvollziehen. Vielleicht sollte die Deutsche Krebshilfe ein Kapitel darüber in ihre blauen Heftchen aufnehmen…. 

Aber Spaß beiseite, manchmal nerven mich die Veras schon sehr. Auf der anderen Seite gibt es unglaublich wunderbare Menschen, mit denen gute und intensive Gespräche möglich sind, die ich dann umso mehr genieße und wertschätze.