Samstag, 25. Juli 2015

Ein Krebsjahr in Kurzfassung und große Zukunftsfreude



Letzte Woche Donnerstag war ein richtiger Glückstag, denn mit Beginn meiner ersten Nachsorge bin ich offiziell mit meiner Krebstherapie durch!

Keine Chemo und keine Bestrahlung mehr und die ewigen Arzttermine haben für die nächsten drei Monate Pause.

Jetzt beginnt Teil zwei, jetzt beginnt die Überlebensphase. Aber vorher möchte ich ein bisschen zurücksehen und erzählen, wie ich dieses Jahr empfand.

Es fing vor genau einem Jahr an, ich hatte einen Termin bei meiner Gynäkologin, da ich einen kleinen Knubbel in meiner Brust entdeckt hatte. Das Ultraschall-Ergebnis war nicht eindeutig, so dass ich am 20. August eine Mammographie machen ließ. Auch hier war es nicht ganz eindeutig, so folgte eine Biopsie und Ende August erhielt ich die Diagnose Brustkrebs. Am 8. September wurde die Diagnose auf Triple negativ verifiziert.

Danach kam das übliche Prozedere an Terminen bis am 8. Oktober die Chemo-Therapie begann. Nach genau einem halben Jahr hatte ich das überstanden und Anfang Mai wurde der Tumor neoadjuvant herausoperiert. Allerdings zeigte der histologische Befund noch Tumorzellen, so dass die in einem zweiten Anlauf auch herausoperiert wurden.

Nach einer Erholungspause von zwei Wochen fing am 1. Juni die sechswöchige Bestrahlung an. Am 9. Juli war auch dieser Schritt geschafft und nun war am Donnerstag meine erste Nachsorge.

Alles in allen hat dieser Krebs ein Jahr gedauert, eine richtig lange Zeit.

Wie war dieses Jahr mit etwas Abstand betrachtet?

Die erste Chemotherapie mit Paclitaxel (Taxol) hat vier Monate gedauert und war recht gut erträglich, diese Zeit habe ich am besten verkraftet. Am Anfang hat mich das Cortison ziemlich geschafft, aber als das sukzessive weniger wurde, ging es mir wieder besser. Auch hatte ich zu Beginn der Therapie massive Knochenschmerzen, die aber zum Ende hin deutlich weniger wurden. Zum Schluss benötigte ich auch keine Schmerzmittel mehr, das war ganz gut. In den ersten Monaten hatte ich noch große Kraftreserven, ich bin ein Energiemensch, wenn alles normal und ich gesund bin, dann habe ich sehr viel Energie und sprühe über vor Tatendrang und Lebensfreude.

Wie war mein Essverhalten zu dieser Zeit? Jetzt merke ich, dass ich richtig nachdenken muss, um mich zu erinnern, obwohl es eigentlich noch gar nicht lange her ist. In dieser Zeit habe ich noch alles gut vertragen. Ich habe sehr viel Obst und Gemüse gegessen und extrem auf meine Ernährung geachtet. Ich hatte so viele Geschichten gehört, dass die Frauen in dieser Zeit sehr viel zunehmen und so war ich unwahrscheinlich diszipliniert. Gerade weil ich anfangs sehr viel Cortison bekam, hatte ich richtig Angst davor zuzunehmen. 

Vor Weihnachten sind wir dann noch umgezogen, im Nachhinein kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, wie ich das geschafft habe. Ich habe alle Kartons gepackt, alles abgebaut und in der neuen Wohnung alles wieder eingeräumt, aufgebaut, angebohrt, angeschraubt, angeschlossen und eingerichtet…
Nicht Mara, die Krebskranke, sondern Gimli, der Kampfzwerg!

Richtig anstrengend fand ich den zweiten Teil mit Epirubicin und Cyclophosphamid. Hier habe ich täglich gespürt, wie mich meine Kraft verließ. Mir war die gesamte Zeit immer übel, so dass ich permanent das Gefühl hatte, mich übergeben zu müssen. Außerdem habe ich sehr schlecht geschlafen, manchmal nur drei bis vier Stunden in der Nacht. In Folge dessen, war ich unglaublich müde, konnte aber überhaupt nicht schlafen. Durch das Neupogen litt ich wieder unter starken Knochenschmerzen und hab zum Schluss wirklich die Tage gezählt, bis es endlich vorbei war.

In dieser Chemo-Phase hat sich mein Appetit grundlegend verändert. Obwohl mir ständig schlecht war und ich ziemlich viel gegen die Übelkeit genommen hatte, hatte ich seltsame Gelüste bzw. für mich atypische Unlüste.
Besonders Käse hatte es mir angetan. Ich bin sonst nur ein sporadischer Käse-Esser, aber in der Zeit wurde es extrem. Camenbert, Chaumes, Mozzarella-Sticks (ich esse sonst nie Fertigessen!), mit Käse  überbackenes Gemüse, Brot mit getrockneten Tomaten mit Grana Padano überbacken, gebratener Schafskäse, usw. Ich hatte ziemlich viel Phantasie, was meinen Käsekonsum betraf! Ich hatte keine große Lust zu kochen und Jona hat sich Gott sei Dank meinen Mozzarella-Sticks-Süchten klaglos angeschlossen. Mittlerweile können wir sie aber beide nicht mehr essen, wahrscheinlich nie wieder! Die Käselust war dann irgendwann vorbei, vielleicht im Mai bis Ende Mai, es hielt also noch eine Zeit lang an.

Aber insgesamt hatte sich mein Geschmack verändert, vorher habe ich  Tomaten geliebt, in jeder Variation, und auf einmal waren sie mir zu sauer. Wiederum habe ich mit Wonne jede Menge frisch gepressten Zitronensaft in mein Wasser gefüllt. Diese Geschmacksverirrung kann man gar nicht verstehen.

Jetzt normalisiert sich mein Essverhalten wieder und meine Gelüste sind so gut wie weg. Ratatouille kann ich aber immer noch nicht essen, es schmeckt mir entschieden zu säuerlich, also irgendwas ist da noch nicht ganz in Ordnung.

Wenn sich der Geschmacksinn verändert, dann ist immer auch der Geruchsinn betroffen, die beiden sind genussentscheidend. Schon ab der ersten Chemo hatte sich mein Geruchsinn stark sensibilisiert. Ich bin auch jetzt noch furchtbar empfindlich, was die verschiedenen Gerüche betrifft und noch immer zieht sich mein Magen gekränkt zusammen, wenn ich durch eine größere Menschenmenge laufe oder wenn sich etwas anderes feindselig in meine Nase verirrt!

Als die Chemo-Zeit endlich vorbei war, hab ich wirklich drei Kreuze gemacht. Schlimm waren vor allen die Nächte, am Tage konnte ich mich sehr gut ablenken und hatte immer alles Mögliche zu tun. Aber nachts bin hier herumgeschlichen wie eine uralte Frau, gebückt, mit Knochenschmerzen, Übelkeit, Schlafstörungen, Angstgefühlen und einer unglaublichen Schlappheit.

Die Krankenhauszeit ging gut rum, das habe ich einfach ausgehalten, das Schlimmste war die Verdrahtung der Clip-Markierung, sonst war es ganz gut (wie Krankenhäuser halt so sind).

Die Bestrahlungszeit war im Prinzip auch gut. Ich habe mich in der Praxis sehr gut betreut gefühlt. Die MTA’s waren unglaublich freundlich und fürsorglich und die Betreuung war richtig persönlich, ich würde dort immer wieder gerne hingehen.
Meine Brust sah bis zum Schluss recht gut aus, sie wurde erst in der letzten Woche richtig rot, aber auch hier war es noch zum Aushalten. Ich habe meine Brust mit Bepanthen-Lotion gecremt, wie vorgeschlagen und war damit sehr zufrieden. Jetzt ist es eine Woche her und ich spüre fast keinen Schmerz mehr. Am Donnerstag war die letzte Bestrahlung und am Dienstag tat es schon nicht mehr so stark weh. Die Haut ist noch empfindlich, die Brust sieht bräunlich aus und fühlt sich an, wie nach einem starken Sonnenbrand. Ich warte nun darauf, dass sich die Haut pellt und die weiche neue Haut nachkommt.

Während der Bestrahlungswochen ging es mir im Großen und Ganzen gut. Ich hatte häufiger latente Kopfschmerzen und habe mich oft ziemlich geschafft und erschöpft gefühlt. Allerdings habe ich auch schon festgestellt, dass sich mein Schlafverhalten wieder zum Positiven verändert, meine Träume kommen zurück und ich schlafe zunehmend besser. 


Richtig unangenehm waren und sind meine tränenden Augen. Ich habe gehofft, dass sich das mit der zweiten Chemo wieder verändert, aber leider ist das noch schlimmer geworden. Nach der Chemo ist es viel besser geworden, allerdings ist die extreme Windempfindlichkeit bisher noch geblieben. Ich trage grundsätzlich eine kleine Bepanthen-Augen-Salbe bei mir, damit ich die Augen zwischenzeitlich eincreme, denn durch die Tränenwegwischerei wird die empfindliche Haut schnell wund.

Meine Augen haben sich auch bezüglich der Sehstärke verändert, ich habe Anfang August einen Termin beim Augenarzt. Ich kann sowohl in der Nähe, aber auch in der Ferne viel schlechter sehen als vor der Therapie.


Jetzt ist dieser Abschnitt vorbei und es geht wieder bergauf, meine Kraft kommt ganz langsam wieder und ich kann wieder denken. Es war ein außergewöhnliches Jahr, es fühlte sich nicht sehr lebendig an, ich habe kein Stück im Jetzt gelebt, sondern eher in der Zukunft. Auf der einen Seite das Gefühl, wie gut dass ich noch lebe, ich möchte meine Zeit genießen und auf der anderen Seite, die Hoffnung auf die Zukunft, dass endlich diese Krebsgeschichte vorbei ist. Also eine Art Zwischenleben, das sich völlig unnatürlich angefühlt hat.

Ich bin letztes Jahr im April 50 geworden und hatte mir dieses Lebensjahr ganz anders vorgestellt. Meine Tochter hat vor einem Jahr Abi gemacht und wollte in die Welt reisen, mein Mann plante unser großes China-Abenteuer und ich hockte letztendlich als ein kleines chemogebeuteltes krankes Häschen in Hannover!

Sina hat sich sofort entschlossen, ihre Reise um ein Jahr zu verschieben, um bei mir zu sein. Klar ist sie zwischendurch gereist, aber so haben wir uns das beide nicht vorgestellt und mittlerweile stellen wir fest, dass man Zeit nicht nachholen kann. Die große Reise wurde verschoben, aber manche Dinge kann man nicht nachholen. Die meisten fangen jetzt mit dem Studium an und Sina ist an einem Punkt, an dem sie feststellt, dass auch sie ein nicht gelebtes Jahr hinter sich hat. Es wird sich zeigen, wie sie sich entscheidet.

Mein Mann und Nico sind im November nach China ausgewandert und haben dort für sich einen neuen Lebensabschnitt begonnen. 
Jona ist mit mir und Sina hier geblieben und hat die 8. Klasse gerade beendet (endlich Sommerferien).

Ich freue mich jetzt auch auf China, Ende August geht es los. Die Flüge für Jona und mich sind gebucht und die Reisevorbereitungen laufen auf Hochtouren.
Sina wird für eine Zeit nach Amsterdam ziehen und von dort aus ihr Leben neu sortieren. 

Wir haben noch genau vier Wochen, diese Zeit werde ich sehr gut nutzen. 

Gestern waren Sina und ich für einen Tag in Hamburg und haben die schöne Stadt bei sehr guten Wetter genossen: 

im Metronom von Hannover nach Hamburg:

nach der Shoppingtour mit einem Eis an der Alster:



Cappuccino:

 Glücksmomente an der Alster:




neue Bücher:

Ofenkartoffel und Salat für uns:


 ein Doc Martens Fahrrad <3
 

Samstag, 18. Juli 2015

Glatzköpfe, Krebsgedanken und warum es nicht nur Haare sind!




Vor fast genau zehn Monaten, am 8. September 2014, bekam ich die Brustkrebs-Diagnose. Einen Monat später begann die Chemo-Therapie und jetzt bin ich soeben mit der Strahlentherapie durch :)


Meine Haare, bzw. eben keine Haare, beschäftigen mich die ganze Zeit.
Jeder sagt und ich habe das auch gesagt: „Es sind doch nur Haare!“ Ja, es sind nur Haare, aber wer keine hat, der merkt schnell, dass Haare viel mehr als nur Haare sind!

Schon nach der zweiten Chemo begann sich meine Haarstruktur zu verändern. Das habe ich zu dem Zeitpunkt noch tapfer ignoriert, da meine Chemo-Leute meinten, unter Paclitaxel bleiben die Haare meistens noch. Meistens! Bei mir traf das leider nicht zu und sie wurden strohig. Anfang November verlor ich schon büschelweise die Haare und damit auch mein gewohntes Aussehen.

Ich hatte mich schon vorher entschieden, theoretisch eben, dass ich eine Perücke wollte, denn ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, mit einer Glatze herumzulaufen. Allerdings konnte ich mir vorher auch noch keine Glatze vorstellen. Die Haare vielen einfach aus, ich fasste mir in die Haare und schon hatte ich ganze Büschel in der Hand, strohige tote Büschel….

Klar, ich bekam Chemo und das war krass, das Cortison, die Nebenwirkungen, aber das ist nichts, was man auf dem ersten Blick sieht. Aber keine Haare, dass sieht jeder! Und dann ist es plötzlich so, dass einem der Krebs buchstäblich ins Gesicht guckt. Jeder Blick in den Spiegel zeigt die Veränderung und bei jedem Blick in den Spiegel kommt der Krebsgedanke sofort zurück. Tausende von Gedanken denkt man am Tag und es dreht sich nicht immer alles um sich selbst. Aber sobald man an einem Spiegel vorbeigeht und sich sieht, das veränderte Aussehen bemerkt, dann sind die Krebsgedanken wieder da.

Ich habe mir also eine Perücke anfertigen lassen, nur leider lief das nicht so, wie es sollte. Im Nachhinein betrachtet, kann ich nicht recht verstehen, warum ich nicht darauf bestanden habe, dass die Perücke so lange geändert wurde, bis sie mir wirklich gut passte. Ich vermute, dass ich schon nach einem Monat ziemlich fertig war und nicht die Kraft hatte, mit denen noch mehr zu diskutieren. Die Perücke rutsche nach ein paar Bewegungen nach oben und passte deshalb nie richtig gut. Die Mitarbeiter versicherten mir allerdings das Gegenteil und gaben mir Klebestreifen mit, damit sie nicht verrutscht… Es sei so bei meiner Kopfform. Meine Kopfform ist völlig durchschnittlich, die Perücke war schlicht zu groß!

Das Ende vom Lied war, dass ich mich so unwohl mit dem Teil fühlte, dass ich sie nicht aufsetzte, ich habe sie niemals getragen. Im Nachhinein kann ich nicht verstehen, warum die mich nicht besser beraten haben. Menschen kommen in einer verzweifelten Lage in ein Perückengeschäft, sie haben also täglich mit Krebskranken zu tun, und dann sind sie nicht in der Lage, einen anständig zu beraten?

Im November war es dann soweit, die Kopfhaut tat weh und die Büschel wurden dicker und meine Kopfhaut schimmerte immer mehr durch. Also nahm ich das Unvermeidbare hin und rasierte sie ab. Damals dachte ich noch, es sind ja nur Haare!

Ich hatte also von nun an eine Glatze und musste lernen, damit umzugehen. Es war kalt draußen und ich habe mich erst mal mit einer Vielzahl an Mützen ausgestattet. Selbst in der Wohnung war es kalt und draußen habe ich tatsächlich zwei Mützen benötigt, eine dünne zum Unterziehen und die warme wollige obendrüber. Selbst zum Schlafen war es zu kalt ohne Mütze, ich habe da alles Mögliche ausprobiert und bin letztendlich bei ganz dünnen Baumwollmützen geblieben.

Eine Nebenwirkung der Chemo sind die Hitzewallungen, die mir leider bis heute erhalten geblieben sind. Innerhalb von Sekunden ist mir extrem heiß und ich möchte am liebsten alles ausziehen. Also flog als erstes die Mütze vom Kopf und weitere Teile folgten. Ein elendes Wechselspiel zwischen normaler Körpertemperatur, Kälteeinbrüchen und Hitzeschüben…

Zu meinen Haaren: Es waren tatsächlich nur Haare, aber Haare sind wichtig. Zum einen wärmen Haare und Haare geben unserem Gesicht das typische Aussehen. Die Farbe, der Schnitt, die Länge, alles ist wichtig und wenn da nichts mehr ist, dann sind wir irgendwie nicht mehr wir selbst.
Aber ich war zugegebener Maßen sehr tapfer, ich hab’s durchgehalten: die Sprüche, die Blicke, die Fragen, die wohlmeinenden Ratschläge und das „wenn ich in der Situation wäre…“

Zu diesem Zeitpunkt war mir schon klar, dass ich keine Perücke tragen würde. Es war mir viel zu heiß und ich fühlte mich auch nicht authentisch. Ich war jetzt Mara mit Glatze und so lebte ich mit den Konsequenzen (mehr oder minder gut). 

Ich wurde angefasst, ich wurde von Personen, die ich kaum kenne gestreichelt und ich wurde angestarrt. Es war tatsächlich so, dass Menschen sich umgedreht und anschließend miteinander getuschelt haben. Sie haben mich mit offenem Mund angegafft und sich wiederholt zu mir umgesehen, um noch ausgiebiger zu gucken.

Ich fühlte mich permanent unter Beobachtung, das war nicht nur für mich seltsam, sondern auch für meine Familie. In der Straßenbahn oder sonst irgendwo draußen habe ich in den ersten Monaten immer eine Mütze aufgehabt (sonst wäre es auch zu kalt gewesen). Aber in den beheizten Räumen, in Läden, in Restaurants, in Cafés, im Kino, im Auto, etc. habe ich über kurz oder lang die Mütze abgesetzt. Mir war es zu warm und ich wollte nicht auch noch die Hitze aushalten und ich wollte mich auch nicht  verstecken. 

Allerdings gehört schon eine Menge Selbstbewusstsein dazu, diese Blicke auszuhalten. Es gab auch Momente, da behielt ich die Mütze an, ich hab dann gemerkt, dass ich nicht die Kraft habe, bzw. dass ich mich zu verletzlich fühle,  um mich innerlich zu wappnen.

Ich kann gar nicht genau sagen, was es genau ist, ich mache mir gewöhnlich keine Gedanken, was andere von mir denken. Im Gegenteil, ich bemühe mich, nichts Negatives über andere Menschen zu denken, ich versuche immer, etwas Positives in den Menschen zu sehen. Ich möchte nicht bewerten, sortieren und urteilen, obwohl ich zugeben muss, dass unsere gesellschaftliche Prägung genau dieses Verhalten forciert.

Aber es ist eine ziemliche Herausforderung, so angestarrt zu werden und zu merken, wie sich die Menschen in Bruchteilen von Sekunden eine Meinung bilden. Sie stecken die Köpfe zusammen und tuscheln, sie drehen sich um und sie kichern sogar. Ja, und was das schlimmste ist, es sind vorwiegend Frauen, die sich so verhalten. Männer sind wesentlich starr-resistenter als Frauen, sie gaffen im Grunde kaum. Vielleicht achten Männer grundsätzlich nur auf schöne Frauen und ich war quasi unsichtbar, vielleicht. Vielleicht aber auch nicht, ich kann es nicht abschätzen, aber die Gafferei war eine ziemliche Belastung und die Normalität ist mittlerweile unendlich erleichternd.

Jetzt stellt sich wahrscheinlich die Frage, warum ich mir das angetan habe, wenn ich doch auch drunter gelitten habe. Gute Frage! Ich wollte zu mir stehen, ich wollte sein, wie ich bin und mich nicht verstecken. So viele Menschen erkranken an Krebs und leider ist das immer noch ein Tabuthema in der Gesellschaft.

Hier ein paar aktuelle Krebszahlen von der Krebshilfe:
 
Häufigste Krebsarten der Frau
Mit schätzungsweise 75.200 Neuerkrankungen im Jahr ist Brustkrebs die mit Abstand häufigste Krebserkrankung der Frau. Etwa eine von acht Frauen erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Jede vierte betroffene Frau ist bei der Diagnosestellung jünger als 55 Jahre, jede zehnte unter 45 Jahre alt.

Häufigste Krebsarten beim Mann
Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung und die dritthäufigste Todesursache bei Männern in Deutschland. In den letzten Jahren ist die Zahl der Neuerkrankungen stetig gestiegen und wird für das Jahr 2014 auf 70.100 geschätzt.

Jede achte Frau in Deutschland erkrankt an Brustkrebs! Das ist eine wahnsinnig hohe Zahl! Wir Frauen sind so sehr auf unser Aussehen bedacht, unsere gesellschaftliche Ausrichtung strebt nach Schönheit und Vollkommenheit und wir Frauen machen alle mit! Die Medien leben uns dieses Ideal tagtäglich vor und wir hinterfragen es nur, wenn wir dem Ideal immer weniger entsprechen. Und wenn uns dann eine Krankheit erwischt, Brustkrebs erwischt jede achte Frau, dann verstecken wir uns, dann sind wir nicht mehr normal, dann gehören wir nicht mehr dazu! Leider bekommen wir nicht nur Brustkrebs, es gibt mittlerweile sehr viele Krebsarten, während der Strahlentherapie habe ich Formen kennengelernt, von denen ich mir vorher gar nicht vorstellen konnte, dass sie existieren.

Viele Frauen haben Krebs und die allermeisten verstecken sich, verstecken den Krebs, die Diagnose und die unglaublichen Konsequenzen, die diese Diagnose für jedes einzelne Leben bedeutet. Wir sind so verletzlich und ausgeliefert und streben dennoch nach Normalität. Mir ging es genauso, aber gut ist das nicht für uns. So viele Frauen erkranken und keiner merkt es, wir sind tapfer und stehen es durch. Warum helfen wir uns nicht viel mehr, warum inspirieren wir uns nicht  in so einer Situation?  Wir sind taffe starke Frauen, wir stehen eine bzw. häufig mehrere Chemo-Therapien durch und doch zeigen wir uns selten selbstbewusst nach außen.

Aus diesem Grund habe ich meine Glatze gezeigt! Es war häufig schwer, weil die Reaktionen unangemessen waren. Aber das war es nur, weil sich nur wenige Frauen ohne Haare zeigen. Ich habe von ganz vielen Frauen gehört, dass sie sich noch nicht einmal ihrem Ehemann ohne Perücke zeigen würden. Meiner Meinung nach ist das krass und es reduziert die Frauen auf ihr bloßes Aussehen. Es versteckt die Verknüpfung von innen nach außen. Unser Aussehen ist der Spiegel unseres Innersten, wir zeigen, wie wir uns fühlen, wie wir unsere Haare tragen, ob und wie wir uns schminken, wie wir uns kleiden, wie wir uns zeigen. Für uns ist es wichtig, wie wir aussehen, aber es ist noch wichtiger, dass wir dabei authentisch sind!

Es gab übrigens auch viele positive Reaktionen auf meine Glatze. Fremde Frauen haben mich angesprochen und haben mir gesagt, dass ich gut aussehen würde, dass ich eine schöne Kopfform hätte und dass sie mich mutig und inspirierend fänden! Das hat mir wahnsinnig gut getan und mich glücklich gemacht. Diese Reaktionen waren mutig, denn jemanden Fremdes anzusprechen und zu zeigen, dass man sich berührt fühlt, fällt den meisten Menschen schwer und mir geht es oft ebenso. Umso schöner fühlt sich dann ein Kompliment an. Meine stille Hoffnung war, dass auch viele Männer mich wahrgenommen haben und vielleicht nach Hause gehen und ihrer Frau zuhause zeigen, hey, heute habe ich eine Frau mit Glatze gesehen, das war irgendwie ungewöhnlich, aber auch normal. Vielleicht haben sie dabei gefühlt, ja, meine Frau ist nicht die einzige oder auch, hey, ich bin nicht der einzige mit Krebs!

Es kommt nicht auf die Umstände an, in denen man lebt, es kommt ausschließlich darauf an, wie man darüber denkt und wie man damit umgeht!

Im Januar kamen die ersten Haare wieder, dünne weiße unregelmäßige Härchen, die schnell länger wurden. Über der Stirn hatte ich Geheimratsecken und es sah nicht schön aus.
 

 
Eine kleine Geschichte dazu:
Ich saß mit Sina bei Ikea und sagte etwas gedankenverloren: „Also Tücher sind irgendwie nichts für mich, die sehen so nach Krebs aus.“
Und Sina antwortete: „Stimmt Mama, deine Glatze sieht aus, als ob du Grippe hast!“
(muss man nicht mehr zu sagen :/)

Ende Januar begann der zweite Chemo-Teil mit Epirubicin und danach sind mir die spärlichen Haare auch sofort wieder ausgefallen. Zurück blieb die Angst, dass ich zukünftig Geheimratsecken bekomme :(

17. März – keine Haare
 


Am 2. April hatte ich die letzte Chemo und dann passierte erst mal nix. Aber dann, ganz ganz langsam begannen sie doch zu sprießen. Als erstes waren die Augenbrauen wieder da und dann begann auch der Rest.

Am 17. Mai:


 19. Mai: mein Tagebucheintrag:
„Und, es war gut in der Stadt, es hat mich keiner mehr angestarrt, sondern es war das erste Mal wieder ganz normal! :)

Im Juni nach Beginn der Strahlentherapie, mit selbst gefärbter Haarfarbe. Die Haare nehmen die Farbe nicht gut an:

6. Juni:
 

Als die Haare wieder anfingen zu wachsen, hat Jona das irgendwann mit dem lapidaren Satz kommentiert: Adieu Thaddäus! – ohne Worte 

Anfang Juli:

jetzt wachsen sie wirklich:

 
So sehen sie im Moment aus, frisch vom Friseur gefärbt, mit gezupften und gefärbten Augenbrauen. Ich gefalle mir so gut und bin sehr zufrieden. Es sind endlich wieder Haare, kurz, aber immerhin.



Und es ging nicht schnell! Es hat wahnsinnig lange gedauert und es hat sich ewig angefühlt. Mitte November fing das Haarthema an und jetzt haben wir Mitte Juli, das sind acht Monate. Es dauert sicher noch zwei Monate, bis ich sie das erste Mal schneiden kann und bestimmt noch bis zum November, bis sie so sind, wie sie waren. Also alles in allen ungefähr ein Jahr. Es war und ist eine lange Zeit und es verlangt viel Geduld und Durchhaltevermögen und es ist eine Herausforderung, die einiges abverlangt.


Zum Schluss erzähle ich noch, warum ich keine Katze bin:

Ich liebe Katzen und es gibt nichts Schöneres, als eine Katze auf dem Schoß. Wie sie sich anschmiegt, wie sie schnurrt und sich in unseren Händen wohlfühlt, sich reibt, ihr Köpfchen sich voll Wohlbehagen in uns rein stupst – herrlich! Eine Katze ist was Wundervolles und es gibt nichts schöneres, als eine kuschelige Katze zu verpuscheln. Es kommen auch gerne fremde Katzen zu mir und schmiegen sich an und zeigen, dass sie gestreichelt werden wollen!

Ich bin übrigens keine Katze und ich möchte nicht gestreichelt werden! Jeder der mich anfassen möchte, muss mich fragen. Es ist ein absolutes no go, einfach meine Glatze anzufassen, weil man da gerne mal anfassen möchte! Oder meine stoppeligen Haare zu fühlen, weil man schon immer mal wissen möchte, wie sich das anfühlt. Oder in meinen mittlerweile schon recht dichten Haare zu kruscheln, weil die ja schon richtig voll sind! Nein, ich bin keine Katze und werde nicht ungefragt gestreichelt! Weder schnurre ich, noch schmiege ich mich an, noch genieße ich das!

Ich hatte Krebs, aber das hat nichts mit meinem Empfinden zu tun. Man streichelt Menschen nicht ungefragt! Weder große noch kleine Menschen, ich bin der Meinung, dass man auch Kinder nicht ungefragt streicheln und anfassen darf (auch nicht, wenn man Kanzlerin ist!).

Leider hatte ich einige solcher Situationen und nicht eine einzige war angenehm. Eine Begebenheit war so, dass eine etwa 75jährige Bekannte meiner Familie mich zufällig getroffen hat, mich fragte, wie es mir geht und mir dann den Kopf gestreichelt hat! Oh mein Gott, wie geht man damit um?! Ich bin ein höflicher Mensch und wollte ihr nicht vor den Kopf stoßen, aber andersherum war ich sehr brüskiert. Gute Miene zum bösen Spiel und sich sehr schnell verabschieden und gehen!