Samstag, 18. Juli 2015

Glatzköpfe, Krebsgedanken und warum es nicht nur Haare sind!




Vor fast genau zehn Monaten, am 8. September 2014, bekam ich die Brustkrebs-Diagnose. Einen Monat später begann die Chemo-Therapie und jetzt bin ich soeben mit der Strahlentherapie durch :)


Meine Haare, bzw. eben keine Haare, beschäftigen mich die ganze Zeit.
Jeder sagt und ich habe das auch gesagt: „Es sind doch nur Haare!“ Ja, es sind nur Haare, aber wer keine hat, der merkt schnell, dass Haare viel mehr als nur Haare sind!

Schon nach der zweiten Chemo begann sich meine Haarstruktur zu verändern. Das habe ich zu dem Zeitpunkt noch tapfer ignoriert, da meine Chemo-Leute meinten, unter Paclitaxel bleiben die Haare meistens noch. Meistens! Bei mir traf das leider nicht zu und sie wurden strohig. Anfang November verlor ich schon büschelweise die Haare und damit auch mein gewohntes Aussehen.

Ich hatte mich schon vorher entschieden, theoretisch eben, dass ich eine Perücke wollte, denn ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, mit einer Glatze herumzulaufen. Allerdings konnte ich mir vorher auch noch keine Glatze vorstellen. Die Haare vielen einfach aus, ich fasste mir in die Haare und schon hatte ich ganze Büschel in der Hand, strohige tote Büschel….

Klar, ich bekam Chemo und das war krass, das Cortison, die Nebenwirkungen, aber das ist nichts, was man auf dem ersten Blick sieht. Aber keine Haare, dass sieht jeder! Und dann ist es plötzlich so, dass einem der Krebs buchstäblich ins Gesicht guckt. Jeder Blick in den Spiegel zeigt die Veränderung und bei jedem Blick in den Spiegel kommt der Krebsgedanke sofort zurück. Tausende von Gedanken denkt man am Tag und es dreht sich nicht immer alles um sich selbst. Aber sobald man an einem Spiegel vorbeigeht und sich sieht, das veränderte Aussehen bemerkt, dann sind die Krebsgedanken wieder da.

Ich habe mir also eine Perücke anfertigen lassen, nur leider lief das nicht so, wie es sollte. Im Nachhinein betrachtet, kann ich nicht recht verstehen, warum ich nicht darauf bestanden habe, dass die Perücke so lange geändert wurde, bis sie mir wirklich gut passte. Ich vermute, dass ich schon nach einem Monat ziemlich fertig war und nicht die Kraft hatte, mit denen noch mehr zu diskutieren. Die Perücke rutsche nach ein paar Bewegungen nach oben und passte deshalb nie richtig gut. Die Mitarbeiter versicherten mir allerdings das Gegenteil und gaben mir Klebestreifen mit, damit sie nicht verrutscht… Es sei so bei meiner Kopfform. Meine Kopfform ist völlig durchschnittlich, die Perücke war schlicht zu groß!

Das Ende vom Lied war, dass ich mich so unwohl mit dem Teil fühlte, dass ich sie nicht aufsetzte, ich habe sie niemals getragen. Im Nachhinein kann ich nicht verstehen, warum die mich nicht besser beraten haben. Menschen kommen in einer verzweifelten Lage in ein Perückengeschäft, sie haben also täglich mit Krebskranken zu tun, und dann sind sie nicht in der Lage, einen anständig zu beraten?

Im November war es dann soweit, die Kopfhaut tat weh und die Büschel wurden dicker und meine Kopfhaut schimmerte immer mehr durch. Also nahm ich das Unvermeidbare hin und rasierte sie ab. Damals dachte ich noch, es sind ja nur Haare!

Ich hatte also von nun an eine Glatze und musste lernen, damit umzugehen. Es war kalt draußen und ich habe mich erst mal mit einer Vielzahl an Mützen ausgestattet. Selbst in der Wohnung war es kalt und draußen habe ich tatsächlich zwei Mützen benötigt, eine dünne zum Unterziehen und die warme wollige obendrüber. Selbst zum Schlafen war es zu kalt ohne Mütze, ich habe da alles Mögliche ausprobiert und bin letztendlich bei ganz dünnen Baumwollmützen geblieben.

Eine Nebenwirkung der Chemo sind die Hitzewallungen, die mir leider bis heute erhalten geblieben sind. Innerhalb von Sekunden ist mir extrem heiß und ich möchte am liebsten alles ausziehen. Also flog als erstes die Mütze vom Kopf und weitere Teile folgten. Ein elendes Wechselspiel zwischen normaler Körpertemperatur, Kälteeinbrüchen und Hitzeschüben…

Zu meinen Haaren: Es waren tatsächlich nur Haare, aber Haare sind wichtig. Zum einen wärmen Haare und Haare geben unserem Gesicht das typische Aussehen. Die Farbe, der Schnitt, die Länge, alles ist wichtig und wenn da nichts mehr ist, dann sind wir irgendwie nicht mehr wir selbst.
Aber ich war zugegebener Maßen sehr tapfer, ich hab’s durchgehalten: die Sprüche, die Blicke, die Fragen, die wohlmeinenden Ratschläge und das „wenn ich in der Situation wäre…“

Zu diesem Zeitpunkt war mir schon klar, dass ich keine Perücke tragen würde. Es war mir viel zu heiß und ich fühlte mich auch nicht authentisch. Ich war jetzt Mara mit Glatze und so lebte ich mit den Konsequenzen (mehr oder minder gut). 

Ich wurde angefasst, ich wurde von Personen, die ich kaum kenne gestreichelt und ich wurde angestarrt. Es war tatsächlich so, dass Menschen sich umgedreht und anschließend miteinander getuschelt haben. Sie haben mich mit offenem Mund angegafft und sich wiederholt zu mir umgesehen, um noch ausgiebiger zu gucken.

Ich fühlte mich permanent unter Beobachtung, das war nicht nur für mich seltsam, sondern auch für meine Familie. In der Straßenbahn oder sonst irgendwo draußen habe ich in den ersten Monaten immer eine Mütze aufgehabt (sonst wäre es auch zu kalt gewesen). Aber in den beheizten Räumen, in Läden, in Restaurants, in Cafés, im Kino, im Auto, etc. habe ich über kurz oder lang die Mütze abgesetzt. Mir war es zu warm und ich wollte nicht auch noch die Hitze aushalten und ich wollte mich auch nicht  verstecken. 

Allerdings gehört schon eine Menge Selbstbewusstsein dazu, diese Blicke auszuhalten. Es gab auch Momente, da behielt ich die Mütze an, ich hab dann gemerkt, dass ich nicht die Kraft habe, bzw. dass ich mich zu verletzlich fühle,  um mich innerlich zu wappnen.

Ich kann gar nicht genau sagen, was es genau ist, ich mache mir gewöhnlich keine Gedanken, was andere von mir denken. Im Gegenteil, ich bemühe mich, nichts Negatives über andere Menschen zu denken, ich versuche immer, etwas Positives in den Menschen zu sehen. Ich möchte nicht bewerten, sortieren und urteilen, obwohl ich zugeben muss, dass unsere gesellschaftliche Prägung genau dieses Verhalten forciert.

Aber es ist eine ziemliche Herausforderung, so angestarrt zu werden und zu merken, wie sich die Menschen in Bruchteilen von Sekunden eine Meinung bilden. Sie stecken die Köpfe zusammen und tuscheln, sie drehen sich um und sie kichern sogar. Ja, und was das schlimmste ist, es sind vorwiegend Frauen, die sich so verhalten. Männer sind wesentlich starr-resistenter als Frauen, sie gaffen im Grunde kaum. Vielleicht achten Männer grundsätzlich nur auf schöne Frauen und ich war quasi unsichtbar, vielleicht. Vielleicht aber auch nicht, ich kann es nicht abschätzen, aber die Gafferei war eine ziemliche Belastung und die Normalität ist mittlerweile unendlich erleichternd.

Jetzt stellt sich wahrscheinlich die Frage, warum ich mir das angetan habe, wenn ich doch auch drunter gelitten habe. Gute Frage! Ich wollte zu mir stehen, ich wollte sein, wie ich bin und mich nicht verstecken. So viele Menschen erkranken an Krebs und leider ist das immer noch ein Tabuthema in der Gesellschaft.

Hier ein paar aktuelle Krebszahlen von der Krebshilfe:
 
Häufigste Krebsarten der Frau
Mit schätzungsweise 75.200 Neuerkrankungen im Jahr ist Brustkrebs die mit Abstand häufigste Krebserkrankung der Frau. Etwa eine von acht Frauen erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Jede vierte betroffene Frau ist bei der Diagnosestellung jünger als 55 Jahre, jede zehnte unter 45 Jahre alt.

Häufigste Krebsarten beim Mann
Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung und die dritthäufigste Todesursache bei Männern in Deutschland. In den letzten Jahren ist die Zahl der Neuerkrankungen stetig gestiegen und wird für das Jahr 2014 auf 70.100 geschätzt.

Jede achte Frau in Deutschland erkrankt an Brustkrebs! Das ist eine wahnsinnig hohe Zahl! Wir Frauen sind so sehr auf unser Aussehen bedacht, unsere gesellschaftliche Ausrichtung strebt nach Schönheit und Vollkommenheit und wir Frauen machen alle mit! Die Medien leben uns dieses Ideal tagtäglich vor und wir hinterfragen es nur, wenn wir dem Ideal immer weniger entsprechen. Und wenn uns dann eine Krankheit erwischt, Brustkrebs erwischt jede achte Frau, dann verstecken wir uns, dann sind wir nicht mehr normal, dann gehören wir nicht mehr dazu! Leider bekommen wir nicht nur Brustkrebs, es gibt mittlerweile sehr viele Krebsarten, während der Strahlentherapie habe ich Formen kennengelernt, von denen ich mir vorher gar nicht vorstellen konnte, dass sie existieren.

Viele Frauen haben Krebs und die allermeisten verstecken sich, verstecken den Krebs, die Diagnose und die unglaublichen Konsequenzen, die diese Diagnose für jedes einzelne Leben bedeutet. Wir sind so verletzlich und ausgeliefert und streben dennoch nach Normalität. Mir ging es genauso, aber gut ist das nicht für uns. So viele Frauen erkranken und keiner merkt es, wir sind tapfer und stehen es durch. Warum helfen wir uns nicht viel mehr, warum inspirieren wir uns nicht  in so einer Situation?  Wir sind taffe starke Frauen, wir stehen eine bzw. häufig mehrere Chemo-Therapien durch und doch zeigen wir uns selten selbstbewusst nach außen.

Aus diesem Grund habe ich meine Glatze gezeigt! Es war häufig schwer, weil die Reaktionen unangemessen waren. Aber das war es nur, weil sich nur wenige Frauen ohne Haare zeigen. Ich habe von ganz vielen Frauen gehört, dass sie sich noch nicht einmal ihrem Ehemann ohne Perücke zeigen würden. Meiner Meinung nach ist das krass und es reduziert die Frauen auf ihr bloßes Aussehen. Es versteckt die Verknüpfung von innen nach außen. Unser Aussehen ist der Spiegel unseres Innersten, wir zeigen, wie wir uns fühlen, wie wir unsere Haare tragen, ob und wie wir uns schminken, wie wir uns kleiden, wie wir uns zeigen. Für uns ist es wichtig, wie wir aussehen, aber es ist noch wichtiger, dass wir dabei authentisch sind!

Es gab übrigens auch viele positive Reaktionen auf meine Glatze. Fremde Frauen haben mich angesprochen und haben mir gesagt, dass ich gut aussehen würde, dass ich eine schöne Kopfform hätte und dass sie mich mutig und inspirierend fänden! Das hat mir wahnsinnig gut getan und mich glücklich gemacht. Diese Reaktionen waren mutig, denn jemanden Fremdes anzusprechen und zu zeigen, dass man sich berührt fühlt, fällt den meisten Menschen schwer und mir geht es oft ebenso. Umso schöner fühlt sich dann ein Kompliment an. Meine stille Hoffnung war, dass auch viele Männer mich wahrgenommen haben und vielleicht nach Hause gehen und ihrer Frau zuhause zeigen, hey, heute habe ich eine Frau mit Glatze gesehen, das war irgendwie ungewöhnlich, aber auch normal. Vielleicht haben sie dabei gefühlt, ja, meine Frau ist nicht die einzige oder auch, hey, ich bin nicht der einzige mit Krebs!

Es kommt nicht auf die Umstände an, in denen man lebt, es kommt ausschließlich darauf an, wie man darüber denkt und wie man damit umgeht!

Im Januar kamen die ersten Haare wieder, dünne weiße unregelmäßige Härchen, die schnell länger wurden. Über der Stirn hatte ich Geheimratsecken und es sah nicht schön aus.
 

 
Eine kleine Geschichte dazu:
Ich saß mit Sina bei Ikea und sagte etwas gedankenverloren: „Also Tücher sind irgendwie nichts für mich, die sehen so nach Krebs aus.“
Und Sina antwortete: „Stimmt Mama, deine Glatze sieht aus, als ob du Grippe hast!“
(muss man nicht mehr zu sagen :/)

Ende Januar begann der zweite Chemo-Teil mit Epirubicin und danach sind mir die spärlichen Haare auch sofort wieder ausgefallen. Zurück blieb die Angst, dass ich zukünftig Geheimratsecken bekomme :(

17. März – keine Haare
 


Am 2. April hatte ich die letzte Chemo und dann passierte erst mal nix. Aber dann, ganz ganz langsam begannen sie doch zu sprießen. Als erstes waren die Augenbrauen wieder da und dann begann auch der Rest.

Am 17. Mai:


 19. Mai: mein Tagebucheintrag:
„Und, es war gut in der Stadt, es hat mich keiner mehr angestarrt, sondern es war das erste Mal wieder ganz normal! :)

Im Juni nach Beginn der Strahlentherapie, mit selbst gefärbter Haarfarbe. Die Haare nehmen die Farbe nicht gut an:

6. Juni:
 

Als die Haare wieder anfingen zu wachsen, hat Jona das irgendwann mit dem lapidaren Satz kommentiert: Adieu Thaddäus! – ohne Worte 

Anfang Juli:

jetzt wachsen sie wirklich:

 
So sehen sie im Moment aus, frisch vom Friseur gefärbt, mit gezupften und gefärbten Augenbrauen. Ich gefalle mir so gut und bin sehr zufrieden. Es sind endlich wieder Haare, kurz, aber immerhin.



Und es ging nicht schnell! Es hat wahnsinnig lange gedauert und es hat sich ewig angefühlt. Mitte November fing das Haarthema an und jetzt haben wir Mitte Juli, das sind acht Monate. Es dauert sicher noch zwei Monate, bis ich sie das erste Mal schneiden kann und bestimmt noch bis zum November, bis sie so sind, wie sie waren. Also alles in allen ungefähr ein Jahr. Es war und ist eine lange Zeit und es verlangt viel Geduld und Durchhaltevermögen und es ist eine Herausforderung, die einiges abverlangt.


Zum Schluss erzähle ich noch, warum ich keine Katze bin:

Ich liebe Katzen und es gibt nichts Schöneres, als eine Katze auf dem Schoß. Wie sie sich anschmiegt, wie sie schnurrt und sich in unseren Händen wohlfühlt, sich reibt, ihr Köpfchen sich voll Wohlbehagen in uns rein stupst – herrlich! Eine Katze ist was Wundervolles und es gibt nichts schöneres, als eine kuschelige Katze zu verpuscheln. Es kommen auch gerne fremde Katzen zu mir und schmiegen sich an und zeigen, dass sie gestreichelt werden wollen!

Ich bin übrigens keine Katze und ich möchte nicht gestreichelt werden! Jeder der mich anfassen möchte, muss mich fragen. Es ist ein absolutes no go, einfach meine Glatze anzufassen, weil man da gerne mal anfassen möchte! Oder meine stoppeligen Haare zu fühlen, weil man schon immer mal wissen möchte, wie sich das anfühlt. Oder in meinen mittlerweile schon recht dichten Haare zu kruscheln, weil die ja schon richtig voll sind! Nein, ich bin keine Katze und werde nicht ungefragt gestreichelt! Weder schnurre ich, noch schmiege ich mich an, noch genieße ich das!

Ich hatte Krebs, aber das hat nichts mit meinem Empfinden zu tun. Man streichelt Menschen nicht ungefragt! Weder große noch kleine Menschen, ich bin der Meinung, dass man auch Kinder nicht ungefragt streicheln und anfassen darf (auch nicht, wenn man Kanzlerin ist!).

Leider hatte ich einige solcher Situationen und nicht eine einzige war angenehm. Eine Begebenheit war so, dass eine etwa 75jährige Bekannte meiner Familie mich zufällig getroffen hat, mich fragte, wie es mir geht und mir dann den Kopf gestreichelt hat! Oh mein Gott, wie geht man damit um?! Ich bin ein höflicher Mensch und wollte ihr nicht vor den Kopf stoßen, aber andersherum war ich sehr brüskiert. Gute Miene zum bösen Spiel und sich sehr schnell verabschieden und gehen!

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