Vor fast genau zehn Monaten, am 8. September 2014, bekam ich die Brustkrebs-Diagnose. Einen Monat später begann die Chemo-Therapie und jetzt bin ich soeben mit der Strahlentherapie durch :)
Meine Haare, bzw. eben
keine Haare, beschäftigen mich die ganze Zeit.
Jeder sagt und ich habe das auch
gesagt: „Es sind doch nur Haare!“ Ja, es sind nur Haare, aber wer keine hat,
der merkt schnell, dass Haare viel mehr als nur Haare sind!
Schon nach der zweiten
Chemo begann sich meine Haarstruktur zu verändern. Das habe ich zu dem
Zeitpunkt noch tapfer ignoriert, da meine Chemo-Leute meinten, unter Paclitaxel
bleiben die Haare meistens noch. Meistens! Bei mir traf das leider nicht zu und
sie wurden strohig. Anfang November verlor ich schon büschelweise die Haare und
damit auch mein gewohntes Aussehen.
Ich hatte mich schon
vorher entschieden, theoretisch eben, dass ich eine Perücke wollte, denn ich
konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, mit einer Glatze herumzulaufen.
Allerdings konnte ich mir vorher auch noch keine Glatze vorstellen. Die Haare
vielen einfach aus, ich fasste mir in die Haare und schon hatte ich ganze
Büschel in der Hand, strohige tote Büschel….
Klar, ich bekam Chemo
und das war krass, das Cortison, die Nebenwirkungen, aber das ist nichts, was
man auf dem ersten Blick sieht. Aber keine Haare, dass sieht jeder! Und dann
ist es plötzlich so, dass einem der Krebs buchstäblich ins Gesicht guckt. Jeder
Blick in den Spiegel zeigt die Veränderung und bei jedem Blick in den Spiegel
kommt der Krebsgedanke sofort zurück. Tausende von Gedanken denkt man am Tag
und es dreht sich nicht immer alles um sich selbst. Aber sobald man an einem
Spiegel vorbeigeht und sich sieht, das veränderte Aussehen bemerkt, dann sind
die Krebsgedanken wieder da.
Ich habe mir also eine
Perücke anfertigen lassen, nur leider lief das nicht so, wie es sollte. Im
Nachhinein betrachtet, kann ich nicht recht verstehen, warum ich nicht darauf
bestanden habe, dass die Perücke so lange geändert wurde, bis sie mir wirklich
gut passte. Ich vermute, dass ich schon nach einem Monat ziemlich fertig war
und nicht die Kraft hatte, mit denen noch mehr zu diskutieren. Die Perücke
rutsche nach ein paar Bewegungen nach oben und passte deshalb nie richtig gut.
Die Mitarbeiter versicherten mir allerdings das Gegenteil und gaben mir
Klebestreifen mit, damit sie nicht verrutscht… Es sei so bei meiner Kopfform.
Meine Kopfform ist völlig durchschnittlich, die Perücke war schlicht zu groß!
Das Ende vom Lied war,
dass ich mich so unwohl mit dem Teil fühlte, dass ich sie nicht aufsetzte, ich
habe sie niemals getragen. Im Nachhinein kann ich nicht verstehen, warum die mich
nicht besser beraten haben. Menschen kommen in einer verzweifelten Lage in ein
Perückengeschäft, sie haben also täglich mit Krebskranken zu tun, und dann sind
sie nicht in der Lage, einen anständig zu beraten?
Im November war es
dann soweit, die Kopfhaut tat weh und die Büschel wurden dicker und meine
Kopfhaut schimmerte immer mehr durch. Also nahm ich das Unvermeidbare hin und
rasierte sie ab. Damals dachte ich noch, es sind ja nur Haare!
Ich hatte also von nun
an eine Glatze und musste lernen, damit umzugehen. Es war kalt draußen und ich
habe mich erst mal mit einer Vielzahl an Mützen ausgestattet. Selbst in der
Wohnung war es kalt und draußen habe ich tatsächlich zwei Mützen benötigt, eine
dünne zum Unterziehen und die warme wollige obendrüber. Selbst zum Schlafen war
es zu kalt ohne Mütze, ich habe da alles Mögliche ausprobiert und bin
letztendlich bei ganz dünnen Baumwollmützen geblieben.
Eine Nebenwirkung der
Chemo sind die Hitzewallungen, die mir leider bis heute erhalten geblieben
sind. Innerhalb von Sekunden ist mir extrem heiß und ich möchte am liebsten alles
ausziehen. Also flog als erstes die Mütze vom Kopf und weitere Teile folgten.
Ein elendes Wechselspiel zwischen normaler Körpertemperatur, Kälteeinbrüchen
und Hitzeschüben…
Zu meinen Haaren: Es waren tatsächlich nur Haare, aber Haare sind wichtig. Zum
einen wärmen Haare und Haare geben unserem Gesicht das typische Aussehen. Die
Farbe, der Schnitt, die Länge, alles ist wichtig und wenn da nichts mehr ist,
dann sind wir irgendwie nicht mehr wir selbst.
Aber ich war zugegebener Maßen sehr tapfer, ich hab’s durchgehalten: die
Sprüche, die Blicke, die Fragen, die wohlmeinenden Ratschläge und das „wenn ich
in der Situation wäre…“
Zu diesem Zeitpunkt war mir schon klar, dass ich keine Perücke tragen würde. Es war mir viel zu heiß und ich fühlte mich auch nicht authentisch. Ich war jetzt Mara mit Glatze und so lebte ich mit den Konsequenzen (mehr oder minder gut).
Ich wurde angefasst,
ich wurde von Personen, die ich kaum kenne gestreichelt und ich wurde
angestarrt. Es war tatsächlich so, dass Menschen sich umgedreht und
anschließend miteinander getuschelt haben. Sie haben mich mit offenem Mund
angegafft und sich wiederholt zu mir umgesehen, um noch ausgiebiger zu gucken.
Ich fühlte mich
permanent unter Beobachtung, das war nicht nur für mich seltsam, sondern auch
für meine Familie. In der Straßenbahn oder sonst irgendwo draußen habe ich in
den ersten Monaten immer eine Mütze aufgehabt (sonst wäre es auch zu kalt
gewesen). Aber in den beheizten Räumen, in Läden, in Restaurants, in Cafés, im
Kino, im Auto, etc. habe ich über kurz oder lang die Mütze abgesetzt. Mir war
es zu warm und ich wollte nicht auch noch die Hitze aushalten und ich wollte mich
auch nicht verstecken.
Allerdings gehört
schon eine Menge Selbstbewusstsein dazu, diese Blicke auszuhalten. Es gab auch
Momente, da behielt ich die Mütze an, ich hab dann gemerkt, dass ich nicht die
Kraft habe, bzw. dass ich mich zu verletzlich fühle, um mich innerlich zu wappnen.
Ich kann gar nicht
genau sagen, was es genau ist, ich mache mir gewöhnlich keine Gedanken, was
andere von mir denken. Im Gegenteil, ich bemühe mich, nichts Negatives über
andere Menschen zu denken, ich versuche immer, etwas Positives in den Menschen
zu sehen. Ich möchte nicht bewerten, sortieren und urteilen, obwohl ich zugeben
muss, dass unsere gesellschaftliche Prägung genau dieses Verhalten forciert.
Aber es ist eine
ziemliche Herausforderung, so angestarrt zu werden und zu merken, wie sich die
Menschen in Bruchteilen von Sekunden eine Meinung bilden. Sie stecken die Köpfe
zusammen und tuscheln, sie drehen sich um und sie kichern sogar. Ja, und was
das schlimmste ist, es sind vorwiegend Frauen, die sich so verhalten. Männer
sind wesentlich starr-resistenter als Frauen, sie gaffen im Grunde kaum.
Vielleicht achten Männer grundsätzlich nur auf schöne Frauen und ich war quasi
unsichtbar, vielleicht. Vielleicht aber auch nicht, ich kann es nicht
abschätzen, aber die Gafferei war eine ziemliche Belastung und die Normalität
ist mittlerweile unendlich erleichternd.
Jetzt stellt sich
wahrscheinlich die Frage, warum ich mir das angetan habe, wenn ich doch auch
drunter gelitten habe. Gute Frage! Ich wollte zu mir stehen, ich wollte sein,
wie ich bin und mich nicht verstecken. So viele Menschen erkranken an Krebs und
leider ist das immer noch ein Tabuthema in der Gesellschaft.
Hier ein paar aktuelle
Krebszahlen von der Krebshilfe:
Häufigste Krebsarten
der Frau
Mit schätzungsweise 75.200 Neuerkrankungen im Jahr ist
Brustkrebs die mit Abstand häufigste Krebserkrankung der Frau. Etwa eine von
acht Frauen erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Jede vierte
betroffene Frau ist bei der Diagnosestellung jünger als 55 Jahre, jede zehnte
unter 45 Jahre alt.
Häufigste Krebsarten
beim Mann
Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung und die
dritthäufigste Todesursache bei Männern in Deutschland. In den letzten Jahren
ist die Zahl der Neuerkrankungen stetig gestiegen und wird für das Jahr 2014
auf 70.100 geschätzt.
Jede achte Frau in Deutschland erkrankt an Brustkrebs! Das
ist eine wahnsinnig hohe Zahl! Wir Frauen sind so sehr auf unser Aussehen
bedacht, unsere gesellschaftliche Ausrichtung strebt nach Schönheit und
Vollkommenheit und wir Frauen machen alle mit! Die Medien leben uns dieses
Ideal tagtäglich vor und wir hinterfragen es nur, wenn wir dem Ideal immer
weniger entsprechen. Und wenn uns dann eine Krankheit erwischt, Brustkrebs
erwischt jede achte Frau, dann verstecken wir uns, dann sind wir nicht mehr
normal, dann gehören wir nicht mehr dazu! Leider bekommen wir nicht nur
Brustkrebs, es gibt mittlerweile sehr viele Krebsarten, während der
Strahlentherapie habe ich Formen kennengelernt, von denen ich mir vorher gar
nicht vorstellen konnte, dass sie existieren.
Viele Frauen haben Krebs und die allermeisten verstecken
sich, verstecken den Krebs, die Diagnose und die unglaublichen Konsequenzen,
die diese Diagnose für jedes einzelne Leben bedeutet. Wir sind so verletzlich
und ausgeliefert und streben dennoch nach Normalität. Mir ging es genauso, aber
gut ist das nicht für uns. So viele Frauen erkranken und keiner merkt es, wir
sind tapfer und stehen es durch. Warum helfen wir uns nicht viel mehr, warum inspirieren
wir uns nicht in so einer Situation? Wir sind taffe starke Frauen, wir stehen eine
bzw. häufig mehrere Chemo-Therapien durch und doch zeigen wir uns selten
selbstbewusst nach außen.
Aus diesem Grund habe ich meine Glatze gezeigt! Es war
häufig schwer, weil die Reaktionen unangemessen waren. Aber das war es nur,
weil sich nur wenige Frauen ohne Haare zeigen. Ich habe von ganz vielen Frauen
gehört, dass sie sich noch nicht einmal ihrem Ehemann ohne Perücke zeigen
würden. Meiner Meinung nach ist das krass und es reduziert die Frauen auf ihr bloßes
Aussehen. Es versteckt die Verknüpfung von innen nach außen. Unser Aussehen ist
der Spiegel unseres Innersten, wir zeigen, wie wir uns fühlen, wie wir unsere
Haare tragen, ob und wie wir uns schminken, wie wir uns kleiden, wie wir uns
zeigen. Für uns ist es wichtig, wie wir aussehen, aber es ist noch wichtiger,
dass wir dabei authentisch sind!
Es gab übrigens auch viele positive Reaktionen auf meine
Glatze. Fremde Frauen haben mich angesprochen und haben mir gesagt, dass ich
gut aussehen würde, dass ich eine schöne Kopfform hätte und dass sie mich mutig
und inspirierend fänden! Das hat mir wahnsinnig gut getan und mich glücklich
gemacht. Diese Reaktionen waren mutig, denn jemanden Fremdes anzusprechen und
zu zeigen, dass man sich berührt fühlt, fällt den meisten Menschen schwer und
mir geht es oft ebenso. Umso schöner fühlt sich dann ein Kompliment an. Meine
stille Hoffnung war, dass auch viele Männer mich wahrgenommen haben und
vielleicht nach Hause gehen und ihrer Frau zuhause zeigen, hey, heute habe ich
eine Frau mit Glatze gesehen, das war irgendwie ungewöhnlich, aber auch normal.
Vielleicht haben sie dabei gefühlt, ja, meine Frau ist nicht die einzige oder
auch, hey, ich bin nicht der einzige mit Krebs!
Es kommt nicht auf die Umstände an, in denen man lebt, es
kommt ausschließlich darauf an, wie man darüber denkt und wie man damit umgeht!
Im Januar kamen die
ersten Haare wieder, dünne weiße unregelmäßige Härchen, die schnell länger
wurden. Über der Stirn hatte ich Geheimratsecken und es sah nicht schön aus.
Eine kleine Geschichte
dazu:
Ich saß mit Sina bei
Ikea und sagte etwas gedankenverloren: „Also Tücher sind irgendwie nichts für
mich, die sehen so nach Krebs aus.“
Und Sina antwortete: „Stimmt
Mama, deine Glatze sieht aus, als ob du Grippe hast!“
(muss man nicht mehr
zu sagen :/)
Ende Januar begann der
zweite Chemo-Teil mit Epirubicin und danach sind mir die spärlichen Haare auch
sofort wieder ausgefallen. Zurück blieb die Angst, dass ich zukünftig
Geheimratsecken bekomme :(
17. März – keine Haare
Am 2. April hatte ich
die letzte Chemo und dann passierte erst mal nix. Aber dann, ganz ganz langsam
begannen sie doch zu sprießen. Als erstes waren die Augenbrauen wieder da und
dann begann auch der Rest.
Am 17. Mai:
19. Mai: mein Tagebucheintrag:
„Und, es war gut in der Stadt, es hat mich keiner mehr
angestarrt, sondern es war das erste Mal wieder ganz normal! :)“
Im Juni nach Beginn
der Strahlentherapie, mit selbst gefärbter Haarfarbe. Die Haare nehmen die
Farbe nicht gut an:
6. Juni:
Als die Haare wieder
anfingen zu wachsen, hat Jona das irgendwann mit dem lapidaren Satz kommentiert:
Adieu Thaddäus! – ohne Worte
Anfang Juli:
jetzt wachsen sie
wirklich:
So sehen sie im Moment
aus, frisch vom Friseur gefärbt, mit gezupften und gefärbten Augenbrauen. Ich
gefalle mir so gut und bin sehr zufrieden. Es sind endlich wieder Haare, kurz,
aber immerhin.
Und es ging nicht
schnell! Es hat wahnsinnig lange gedauert und es hat sich ewig angefühlt. Mitte
November fing das Haarthema an und jetzt haben wir Mitte Juli, das sind acht
Monate. Es dauert sicher noch zwei Monate, bis ich sie das erste Mal schneiden
kann und bestimmt noch bis zum November, bis sie so sind, wie sie waren. Also
alles in allen ungefähr ein Jahr. Es war und ist eine lange Zeit und es
verlangt viel Geduld und Durchhaltevermögen und es ist eine Herausforderung,
die einiges abverlangt.
Zum Schluss erzähle
ich noch, warum ich keine Katze bin:
Ich liebe Katzen und
es gibt nichts Schöneres, als eine Katze auf dem Schoß. Wie sie sich
anschmiegt, wie sie schnurrt und sich in unseren Händen wohlfühlt, sich reibt,
ihr Köpfchen sich voll Wohlbehagen in uns rein stupst – herrlich! Eine Katze
ist was Wundervolles und es gibt nichts schöneres, als eine kuschelige Katze zu
verpuscheln. Es kommen auch gerne fremde Katzen zu mir und schmiegen sich an
und zeigen, dass sie gestreichelt werden wollen!
Ich bin übrigens keine
Katze und ich möchte nicht gestreichelt werden! Jeder der mich anfassen möchte,
muss mich fragen. Es ist ein absolutes no go, einfach meine Glatze anzufassen,
weil man da gerne mal anfassen möchte! Oder meine stoppeligen Haare zu fühlen,
weil man schon immer mal wissen möchte, wie sich das anfühlt. Oder in meinen
mittlerweile schon recht dichten Haare zu kruscheln, weil die ja schon richtig
voll sind! Nein, ich bin keine Katze und werde nicht ungefragt gestreichelt!
Weder schnurre ich, noch schmiege ich mich an, noch genieße ich das!
Ich hatte Krebs, aber
das hat nichts mit meinem Empfinden zu tun. Man streichelt Menschen nicht
ungefragt! Weder große noch kleine Menschen, ich bin der Meinung, dass man auch
Kinder nicht ungefragt streicheln und anfassen darf (auch nicht, wenn man
Kanzlerin ist!).
Leider hatte ich
einige solcher Situationen und nicht eine einzige war angenehm. Eine Begebenheit
war so, dass eine etwa 75jährige Bekannte meiner Familie mich zufällig
getroffen hat, mich fragte, wie es mir geht und mir dann den Kopf gestreichelt
hat! Oh mein Gott, wie geht man damit um?! Ich bin ein höflicher Mensch und wollte
ihr nicht vor den Kopf stoßen, aber andersherum war ich sehr brüskiert. Gute
Miene zum bösen Spiel und sich sehr schnell verabschieden und gehen!
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