Heute ist ein Zwangtag, also ein Tag, an dem ich mich den
äußeren Zwängen beugen muss.
Ein langjähriger Freund meiner Eltern ist gestorben und
ich gehe mit zur Beerdigung. Ich sitze in der Halle, der Pastor predigt von
Jesus und von Wiedergeburt und meine Gedanken schweifen ab. Die Halle ist eine
pseudomoderne Mischung aus angelaufenen Klinkern und rohem Beton, die
Atmosphäre ist bedrückend, die Orgelmusik furchtbar. Der Tod ist hier näher,
als an jedem anderen Ort und ich kann es schlecht ertragen. Es ist die zweite
Beerdigung, die ich miterlebe, seit ich in der Chemotherapie bin.
Was ist, wenn
das meine Beerdigung wäre, was ist, wenn ich nicht überlebe? Die Ängste sind so
unmittelbar und greifbar, ich fühle mich zum Verzweifeln verletzlich und so
furchtbar sterblich. Der Pfarrer redet über das Leben des Verstorbenen und ich
möchte meins so unglaublich gerne weiterleben.
Ulla, sie hatte mit ihm zusammengelebt, schluchzt völlig
verzweifelt in sich hinein. Ich fühle so arg mit ihr und ich denke an meine
Kinder, schaue neben mich, zu meinen Eltern. Eltern sollten niemals erleben,
wie ihr Kind stirbt und ich versuche die Gedanken auszuschalten. Ich bin auch
eine Mama und auch meine Kinder sollen nicht ohne mich sein und ich will nicht
ohne sie sein, ich möchte leben!
Ulla schluchzt weiter, ihre unendliche Trauer ist greifbar
und ich kann nicht aufhören zu denken. Der Pfarrer redet schon wieder über
Jesus und schwelgt in abgedroschenen Phrasen – ihm kann ich gar nicht zuhören,
der macht mich noch trauriger. Trösten werden diese Worte keinen, und meine
Angst vor dem Sterben wird dadurch auch nicht geringer. Im Gegenteil, sie
steigt aus dem eiskalten Betonboden direkt in meinen Körper. Ich fange an zu
zittern und denke am meine Familie, ich möchte mit ihnen leben, möchte Teil
ihres Lebens sein und nicht ihre Vergangenheit.
Die Feier ist vorbei und ich überlege, wieso so etwas
eigentlich Feier heißt. Die
Urnenbeisetzung ist genauso deprimierend wie die Predigt. Menschen schaufeln
gelbe Erde in ein Loch im Boden, das mit einer Kunstrasenmatte umlegt ist. Die
Erde prasselt auf die Metallurne und ich frage mich, wie die Asche in die Erde
gelangen soll. Kränze werden um die Plastikmatte gelegt und die Menschen
unterhalten sich währenddessen über andere Trauergäste. Was die anhaben und
dass die und die ja auch ziemlich dick geworden seien. Oh mein Gott, die haben
auch keine anderen Sorgen. Währenddessen erzählt mir eine andere Freundin
meiner Eltern, dass mein Vater ja auch ganz schön alt aussehen würde! Ich frage
mich, ob die ihre Empathie nur tageweise mit nach draußen nehmen, es ist
unglaublich, wie taktlos manche Menschen sind!
Später gehen wir Suppe essen und Kaffee trinken und ich
werde trotzdem nicht mehr warm. Ulla setzt an, um eine Rede zu halten, und es
kommt nur ein jämmerliches Weinen heraus. Sie stammelt verzweifelt, sie habe das
Liebste in ihrem Leben verloren und sie werde das niemals überwinden! Ich habe
einen Riesenkloß im Hals und er lässt sich nicht mehr verschlucken. Zwei
Stunden lang sitzen Menschen zusammen, die sich kaum etwas zu sagen haben. Für
tiefere persönliche Gespräche ist der Raum nicht geeignet, so harren alle mehr
oder minder aus und essen nebenbei Rindssuppe (waaah, ich bin Vegetarier) und
Blechkuchen. Der Kaffee ist aus Thermoskannen und der Tee kommt in Kännchen,
dazu gibt es belegte Brötchen – ein (un)heimlicher Ort gelebter (gestorbener)
Spießigkeit.
Um 17.00 Uhr ist alles vorbei und ich darf
endlich heim.
Ich laufe mit Jona eine Runde mit den Hunden, aber die
Lebendigkeit kehrt heute nicht mehr zurück!
Das wird meine vorerst letzte Beerdigung sein und ich werde zukünftig Zwangtage auf ein Minimum reduzieren.
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#Muka: ein Trost in jeder Sekunde |
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